Am Anfang: Die Definition
Alternativ – muss man das erklären? Auf jeden Fall, denn der Begriff wird gerade in den derzeitigen Debatten über „Alternativmedizin“ häufig nicht richtig benutzt. Eigentlich bedeutet Alternative doch, ich habe die Wahl zwischen zumindest annähernd gleichwertigen Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile, die sich aber irgendwie ausgleichen und eine Entscheidung je nach persönlichen Vorlieben zulassen. Zwei verschiedenfarbige Schuhe werden keinen Unterschied im Tragekomfort haben. Ich habe also die Alternative, je nach persönlicher Präferenz zwischen rot und blau zu wählen.
Die Sache sieht ganz anders aus, wenn ich durstig bin und man stellt mir ein volles und ein leeres Glas Wasser auf den Tisch. Beides sind Gläser, aber ist das leere Glas in Anbetracht der Grundsituation eine Alternative? Nein. Hier – und nur hier – greift der (politisch etwas vorbelastete) Begriff der Alternativlosigkeit: Nämlich dann, wenn es zwar verschiedene Angebote gibt, diese aber keineswegs vergleichbar geeignet sind, die jeweiligen Bedürfnisse zu erfüllen bzw. die angestrebten Ziele überhaupt zu erreichen.
Zur Alternativmedizin: Warum bin ich „dagegen“?
Es geht mir nicht um das „Dagegensein“ – es geht um eine Frage von Rationalität, vor allem aber von Moral, von Ehrlichkeit, von Redlichkeit. Der so gerne verwendete Begriff „Alternativmedizin“ enthält ja erst einmal eine stramme Behauptung, nämlich die, es gehe hier um eine wirkliche Alternative zur Medizin, also etwas, das man statt Medizin tun/einnehmen könne. Darin steckt auch gleich der Anspruch, die Alternativmedizin sei der „Schulmedizin“ mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen, also vielleicht sogar – die „bessere Alternative“.
Das klingt erst einmal sehr schön und auch ich habe gern an die implizierte Bedeutung geglaubt. Ich habe auch Verständnis für jeden Patienten, der das tut, denn die „Schulmedizin“ und auch „die Wissenschaft“ machen es uns nicht unbedingt immer leicht, sie zu mögen (aber das soll aktuell nicht Thema sein). Ich habe früher gerne daran geglaubt, dass die Medizin längst nicht der Weisheit letzter Schluss ist und dass es noch so vieles gibt, was wir nicht wissen. Wie also will da jemand über Alternativen urteilen? Heute allerdings stoße ich mich schon am Begriff „Alternative“.
Was haben wir denn eigentlich bei der Gegenüberstellung Medizin – Alternativmedizin vor uns? Was trifft es besser – die roten und blauen Schuhe oder das volle und das leere Glas?
Die Medizin – im Sinne der heutigen wissenschaftsbasierten Medizin, die Grundlage des öffentlichen Gesundheitssystems ist – versteht sich als die Summe aller Mittel und Methoden, die nachweislich wirksam sind. Hinzu kommt für die praktische Anwendung noch die Abwägung eines möglichen Schadenpotenzials (Stichwort Nebenwirkungen) und die jeweilige Situation/Verfassung des Patienten. Was das für Mittel / Methoden sind und woher sie stammen, ist der wissenschaftlichen Medizin ziemlich egal. Sie ist fähig und bereit, alle vielversprechenden Ansätze zu untersuchen und im Erfolgsfall in den Werkzeugkasten Methoden aufzunehmen – und tut dies auch. So erweitert sie täglich ihr Wissen und Können und erzielt immer mehr Erfolge, auch auf Gebieten, in denen das vor einigen Jahrzehnten noch unmöglich schien (siehe z. B. individualisierte Krebstherapie, Frühgeborenenversorgung). Sicherlich ist die Medizin nicht fehlerfrei, vor allem das Gesundheitssystem nicht, aber beide sind bestrebt sich kontinuierlich weiter zu entwickeln.
Auch die Behauptungen der „Alternativmedizin“ lassen sich überprüfen. Es lässt sich so herausfinden, was an ihren Aussagen dran ist – ob sie wahr sind oder falsch.
Wir haben heute die Instrumentarien und die Methoden, das zu tun und es ist für die Methoden, die für sich in Anspruch nehmen, zur „Alternativmedizin“ zu zählen, unzählige Male geschehen. Heraus kommt fast immer das Gleiche: Die Methoden der Alternativmedizin funktionieren (zu) selten, als dass man sie ruhigen Gewissens als wirksame Medizin ansehen könnte – und praktisch nie so, wie sie von ihren Befürwortern erklärt werden. Die Wirkung ist in aller Regel nicht mehr als das Gefühl, das in uns Menschen entsteht, wenn wir uns gut behandelt fühlen, wenn wir Hoffnung haben, wenn wir glauben, dass es uns durch die ergriffene Behandlungsmethode bald besser gehen wird – man nennt dies Kontexteffekte einer Behandlung, der Placebo-Effekt gehört dazu.
Der Kern der Sache ist also schlicht und einfach, dass die als „Alternativmedizin“ bezeichneten Mittel und Methoden mit dem leeren Getränkeglas auf unserem Tisch und nicht etwa mit einem andersfarbigen Schuh im Gegenbeispiel gleichzusetzen sind. Da sie keinen Wirkungsnachweis erbringen können, sind sie schlicht für das angestrebte Ziel, die wirkungsvolle Behandlung von Krankheiten, nicht geeignet. In dem Sinne ist die wissenschaftliche Medizin alternativlos – und der Begriff „Alternativmedizin“ ein Euphemismus.
Aber die Wissenschaft weiß und kann doch nicht alles!
Das behauptet auch kein Wissenschaftler, der diese Bezeichnung verdient und erst recht nicht „die Wissenschaft“. Die Tatsache, dass wir längst nicht alles wissen und können, ist ja der eigentliche Antrieb für weitere Forschung.
Wir dürfen einer Wissenschaft, die kleinste Details von Zellfunktionen erklären und krankheitsauslösende Effekte auf molekularer Ebene beschreiben kann, aber durchaus zutrauen, ein Urteil über die Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit einer bestimmten Methode oder eines bestimmten Mittels abzugeben. Tun wir das nicht, laufen wir blind in eine Beliebigkeitsfalle, verfallen wir in einen irrationalen Angstglauben, der uns alle lähmen und uns statt nach vorn wieder zurück in die Vergangenheit führen würde. Und zwar nicht nur in der Medizin.
Und um den nächsten Einwand gleich vorwegzunehmen, nein, „die Wissenschaft“ unterdrückt „die Alternativmedizin“ nicht aus unlauteren Motiven. Ich habe solche Dinge, zwar früher auch so gesagt (weil „alle“ sie sagten), aber es ist schlicht Unsinn. Und es würde immerhin die größte Verschwörung aller Zeiten voraussetzen – gegen die Chemtrails, die 9/11-Geschichten und die Flache-Erde-Theorie zusammengenommen eine Kleinigkeit wären. Ich bin heute davon überzeugt, dass dieses „Argument“ nur dazu dient, sich nicht mit der berechtigten Kritik an der „Alternativmedizin“ auseinandersetzen zu müssen.
Und nein, damit will ich nicht Unzulänglichkeiten und Mängel in der wissenschaftlichen Medizin leugnen. Davon gibt es genug, das ist auch ein Thema für sich. Aber gerade die ständige Debatte über die Alternativmedizin verstellt den Blick darauf, auf welche Weise wir die Medizin und unser Gesundheitssystem insgesamt weiter verbessern können.
Was bedeutet das praktisch?
Oft wird das ganze Problem ja damit abgetan, dass man sagt, naja, wenn Menschen eben so gesund werden und außerdem auch auf unnötige Medikamente verzichten, ist doch alles gut („Wer heilt, hat Recht“). Wobei man natürlich auf unnötige Medikamente immer verzichten kann, nicht nur wenn „Alternativmedizin“ glaubt, an ihre Stelle treten zu können.
Wenn wir aber tatsächlich eine wirksame Therapie, also nicht etwa eine medizinisch vertretbare Alternative (z. B. Medikation statt Operation), sondern die eigentliche Behandlungsoption unterlassen oder verzögern, dann haben wir ein Problem. Denn es werden Menschenleben gefährdet, Krankheiten verschleppt, Schmerzen unnötig ertragen oder Prophylaxen unterlassen, die für uns alle wichtig sind. Menschen werden in die Irre geführt, bekommen falsche Hoffnungen und werden manchmal richtiggehend betrogen. Das möchte ich nicht! Genau deshalb spreche ich heute auch lieber von „Pseudomedizin“. Sie tut so, als wäre sie Medizin, als wäre sie eine Alternative, sie ist aber in Wirklichkeit das leere Wasserglas – selbst wenn man den Placebo-Effekt mit einrechnet. Denn der kommt auch bei nachgewiesen wirksamen Therapien als „Add-on“ dazu.
Wissen versus Beliebigkeit
Es gibt heute recht harte Standards in der Medizin, es gibt sich weiter entwickelnde Instrumentarien des Überprüfens und es gibt dann eine Grundlage für eine Bewertung (wirkt/wirkt nicht/kann nicht wirken). Was es nicht gibt (oder nicht mehr geben sollte!): Beliebigkeit. Denn das wäre der Einzug der reinen Fantasie in die Welt der Fakten. Das kann gern anderen Bereichen überlassen bleiben, beispielsweise Buchautoren oder Filmemachern. Wo es aber um das Wohl und Wehe von Menschen geht, haben Beliebigkeit, „könnte doch sein“, „noch nicht bewiesen“ und dergleichen nichts zu suchen.
Hier nähern wir uns offenbar der Ursache dessen, dass so viele Menschen, die eigentlich gar nicht im Thema sind, so offensichtlich aufbringt, wenn sie auf Kritik an „Alternativmedizin“ stoßen. Nämlich, dass einer scheinbaren persönlichen Freiheit, einem unreflektierten Meinungspluralismus Grenzen gesetzt werden. Dass offen ausgesprochen wird, dass nicht alles möglich ist und nicht alles toleriert werden muss, nur weil jemand sich im Recht fühlt und man glaubt, jeder anderen Meinung unbedingt „Respekt“ zollen zu müssen. Selbst dann, wenn es um die „Meinung“ geht, dass ein leeres Glas keine blauen Schuhe sind, um im Beispiel zu bleiben.
Wo wir beim Wetterbericht ganz klar darauf bestehen, dass er sich an Fakten und Wahrscheinlichkeiten orientieren möge, da geben wir das gerade bei der Medizin – einem Gebiet, das doch ungleich wichtiger ist – kritiklos auf? Für eine vermeintliche Toleranz, ohne genaues Hintergrundwissen und mit einem ebensowenig begründbaren wie dumpfen Misstrauen gegen Expertenwissen?
Aber die Meinungsfreiheit ist doch auch ein hohes Gut
Natürlich darf jeder seine Meinung dazu haben. Aber geht es hier überhaupt um „Meinung“? Wenn es harte Fakten gibt und meine persönliche Meinung denen entgegensteht – was ist die Meinung dann noch wert? Sie verhilft mir persönlich allenfalls zu einem falschen Überlegenheitsgefühl. Sie kann aber weder Allgemeingültigkeit noch Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen und ist deshalb auch für den Inhaber der Meinung selbst wertlos und unter Umständen schädlich.
Das Scheitern der Wirksamkeitsbehauptung alternativmedizinischer Mittel und Methoden an wissenschaftlichen Nachweiskriterien ist ein solcher Fakt. Was geschieht aber angesichts dessen? Die Anbieter alternativmedizinischer Methoden (egal, ob Ärzte oder Heilpraktiker) scheren sich wenig darum und stellen unbeirrt viele Behauptungen auf, die sie nicht belegen können (z. B. es gäbe eine geistige Lebenskraft; bei der Potenzierung passiere mehr als eine Verdünnung; Wasser habe ein Gedächtnis; es gäbe „Energie“ in „Meridianen“) oder die objektiv falsch sind (z. B. es gäbe ganz viele eindeutig positive Studien zur Akupunktur oder auch zur Homöopathie; Ansätze der Alternativmedizin könnten in Studien sowieso nicht geprüft werden; wenn ihre Methode doch so vielen Menschen helfe, dann müsse sie doch wirksam sein; die Wissenschaft und BigPharma seien einfach nur gegen die Erfolge der Alternativmedizin; Kritiker sind doch bloß neidisch…). Mit diesem Unterbau wird das positive Image der „alternativen Medizin“ am Leben erhalten und Meinung mit Fakten fälschlicherweise gleichgestellt.
Beliebtes Image
Viele Menschen, die der Alternativmedizin grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehen, wissen einfach gar nicht so genau Bescheid über die Methoden und ihre Hintergründe. Man glaubt an sie, weil man gute Erfahrungen damit gemacht hat (Konditionierung), weil es andere Eltern ja auch machen (falscher Autoritätsglaube), weil die Homöopathin einfach netter ist als die Hausärztin und mehr Zeit hat (Prinzip des bequemsten Weges), man mag das Gefühl, selbst entscheiden und handeln zu können (falsch verstandene persönliche Freiheit), man hat Angst vor den Behandlungen und Nebenwirkungen der normalen Medizin (menschlich, aber falsch), man hat die Ausbildung als Therapeut nun mal absolviert und kann sie gut abrechnen (Pragmatismus), etc.. Die Begriffe „sanft“ und „natürlich“ tragen zum positiven Image bei, das – oh Wunder – durch die die Alternativ-Produkte verkaufende Pharmaindustrie (ja!) blumig befördert wird. Ist man dann noch enttäuscht von der normalen Medizin (was ich teilweise verstehen kann), wendet man sich gerne an vermeintliche Alternativen. Wobei nach meiner Beobachtung eine solche „Enttäuschung“ oft gar nicht auf eigener Erfahrung beruht, sondern auf der unkritischen Aufnahme umlaufender „urbaner Legenden“ und „allgemeiner Ansichten“. Immerhin hat eine aktuelle europaweite Erhebung zur Patientenzufriedenheit mit Hausärzten erbracht, dass 95 Prozent der deutschen Patienten mit ihrem Hausarzt so zufrieden sind, dass sie ihn weiterempfehlen würden. Das sollte auch einmal zu denken geben.
Lösungswege für eine bessere Medizin
Es gibt nur einen sinnvollen Weg, und der ist nicht die Neigung zur „Alternativmedizin“. Sondern: Information und Aufklärung und eine gemeinsame Verbesserung unseres Gesundheitswesens. Es geht nicht um irgendwelche Verbote, auch nicht um Bevormundung. Ganz im Gegenteil: Selbst- und Mitbestimmung von Patienten sind heute in der Medizin wichtiger denn je. Um aber vernünftig selbst- und mitbestimmen und um sich selbst gegenüber Verantwortung übernehmen zu können, ist Information nötig, kein Glaube an nicht vorhandene Alternativen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Menschen aufgeklärt werden wollen, dass Sie aufgeklärt werden wollen, dass Sie wissen wollen, was es mit Homöopathie, Akupunktur, TCM und Co. wirklich auf sich hat.
Es ist allerdings nicht so einfach, diese Hoffnung nicht aufzugeben. Kritikern wie mir wird persönliches Versagen und fehlendes Wissen unterstellt oder die falsche Schule, der falsche Lehrer, zu wenig praktische Erfahrung nachgesagt – der Vorwurf fehlender Offenheit und Unvoreingenommenheit, das angebliche „zu enge Denken“ kommt meist dazu. Das finde ich schade. Schade und unfair. Denn es geht und ging mir nicht um Gegnerschaft an sich und um jeden Preis. Ich möchte mit Gleichgesinnten zusammen deutlich machen, wie wir auf eine falsche oder einfach unüberlegte Darstellung von angeblichen Alternativen hereinfallen. Weil das in der Medizin besonders verhängnisvoll sein kann, setze ich mich für entsprechende Aufklärung ein, auch aus der eigenen Erfahrung heraus, früher selbst auf diesen Leim gegangen zu sein.
Nein, nicht alles Denkbare ist auch möglich (dafür gibt es den schönen Ausdruck Luftschlösser) und auch wenn wir heute nicht alles wissen, über die Alternativmedizin und die Methoden ihrer Verbreitung, wissen wir heute genug, um urteilen zu können. Und es ist – wie ich meine – fast schon eine ethische Pflicht, auch über diese Dinge öffentlich zu sprechen, um Schaden abzuwenden. Und auch um den Weg in die Moderne offen zu halten und einer falschen Rückwärtsgewandtheit – weit über die Medizin hinaus- die Stirn zu bieten.
PS: Wenn Sie positive Erfahrungen mit der Alternativmedizin gemacht haben und mir jetzt vielleicht böse sind: Ihre Erfahrungen sind Gold wert. Nur sie erklären sich anders, als Sie bisher vielleicht angenommen haben (Siehe Artikel „Wir sehen ein Phänomen“).
Too long, didn´t read (TLDR): Für Trennung von Glaube und Wissenschaft, für Wissen statt Beliebigkeit, für vernünftige Medizin statt verklärtem Rückwärtsdenken, für Aufklärung statt falscher Toleranz.
Bild: Fotolia_167389505_XS.jpg
Liebe Frau Grams,
ich glaube an eine echte Alternative, jedoch nicht die zwischen Arzt und Alternativmediziner sondern grundlegender: Behandlung oder Nicht-(mehr)-Behandlung. Viele schwere Erkrankungen werden punktuell also symptomatisch behandelt, was zur Folge hat, dass sich das Leiden nur unendlich verschiebt – von einer Misere zur nächste. Die Krankheit ist unheilbar. Dann muss man aus Gründen der Menschenwürde und Ethik dem Menschen das Recht geben „Stopp“ zu sagen. Hier überschreitet -meiner Ansicht nach- die Medizin schon lange bei weitem ihre Grenzen. Der Wille des Patienten steht über den Möglichkeiten der modernen Medizin (so ist es auch im Grundgesetz verankert).
Ein weiterer Punkt ist, dass gegenüber den sog. Alternativmedizinern große Vorurteile bestehen, die pauschal so nicht der Wahrheit entsprechen. Scharlatan ist einer, der ein Heilsversprechen macht (was laut HP-Gesetz verboten ist). Wenn ein HP aber aufklärt und von vornherein sagt, dass er dies oder jenes versuchen kann, ohne zu wissen ob es hilft, dann ist dagegen doch nichts einzuwenden.
Viele Methoden der Alternativmedizin halte ich persönlich für sehr dubios: das Pendeln, Kinesologie, Bioresonanz, Radionik, Astrologie usw. Dann gibt es aber andere wie die Phytotherapie, Ordnungstherapie, Hygiene, Ernährung, Entspannung, Bewegung. Ich glaube nicht, dass es eine Alternative zu den Naturgesetzen (Chemie und Physik) gibt.
Akupunktur ist eine interessante Geschichte: Man hört immer wieder, dass z.B. durch das Stechen eines Piercings am Ohr langjährige Migräne verschwunden ist usw. So ist die Akupunktur auch entstanden, durch das zufällige Finden von Punkten, welche Symptome zum Verschwinden brachte und sie hat sich dreitausend Jahre lang erhalten und wurde immer weiterentwickelt. Natürlich kann man einwenden, dass dies wiederum nur symptomatische Behandlung sei (ernsthafte Krankheit verschleiert usw.), wenn aber die Diagnose feststeht und sonst nichts hilft? So wird wenigstens der Körper nicht anderweitig geschädigt. Wo liegt das Problem? In der „Dummheit/Leichtgläubigkeit“ der Menschen? Da gebe ich Ihnen Recht: Aufklärung ist absolut nötig.
Danke, dass Sie den Begriff ‚Alternativmedizin‘ in Anführungsstriche setzen! Ich kann es nur Gebetsmühlenartig wiederholen: es gibt keine Alternativmedizin! Entweder es ist Medizin (von Ärzten) oder eben nicht. Alles andere ist Augenwischerei, wissenschaftlicher Nonsens und Betrug!
Die „Grenzen der Medizin“ dort, wo sie die Menschenwürde tangiert, sind ganz überwiegend ein rechtliches und ethisches Problem, das in diesen Kontext gar nicht gehört.
Im Übrigen haben Sie die Grenze, die Frau Grams definiert, nicht richtig aufgefasst. Wenn Sie von Phytotherapie, Ordnungstherapie, Hygiene, Ernährung, Entspannung, Bewegung als „alternativmedizinischer“ Methoden sprechen, dann lassen Sie die Grenzlinie, die Frau Grams gezogen hat, wieder verschwimmen. Nämlich die Grenze von nachgewiesen wirksam zu unwirksam.
Phytotherapie gilt nicht durchweg als unsinnig, ist aber ein Bereich, der im Sinne einer Evidenzbasierung noch sehr ungeordnet ist und auch einer gesundheitspolitischen Grundsatzregelung bedarf. Wussten Sie beispielsweise, dass die sogenannte S3-Richtlinie für die Behandlung von Insomnia (Schlaflosigkeit) ganz klar aussagt, dass es keinen Wirkungsnachweis für phytotherapeutische Mittel gibt und sie deshalb für die Behandlung nicht indiziert sind – auch kein Baldrian? Dinge wie Ernährung, Bewegung, Entspannung, Hygiene dagegen sind naturheilkundliche Methoden, deren Nutzen kein Mediziner leugnen wird, die deshalb -richtig angewendet- durchaus zur Medizin gehören und durchaus nicht in den alternativen Ramschkasten.
Dass Sie die Grenzziehung, die Frau Grams vornimmt, aufweichen, sieht man auch an Ihrer Einordnung der Akupunktur. Sie ist völlig eindeutig Alternativmedizin im Sinne von Frau Grams‘ Definition, denn sie erbringt keinen spezifischen Wirkungsnachweis (über Placebo und Kontexteffekte hinaus). Ihr Glaube, die Akupunktur sei nun gerade ein Beispiel für eine sozusagen zu Unrecht als „alternativ“ verleumdete Methode, ist leider falsch. Im Grunde geht die Wissenschaft bereits seit den 1960er Jahren davon aus, die großen Studienreihen und Betrachtungen der letzten Jahre haben dies aber in aller Klarheit bestätigt. Die große zusammenfassende Besprechung mit Quellen dazu finden Sie hier:
http://journals.lww.com/anesthesia-analgesia/pages/articleviewer.aspx?year=2013&issue=06000&article=00025&type=Fulltext
Beim Versuch einer Relativierung von Frau Grams‘ dringend nötiger Grenzziehung unterliegen Sie mehreren Fehlannahmen. Einmal scheint bei Ihnen ständig die Annahme durch, dass es -nur- um fehlende Erklärungen für eine Wirkung gehe – das ist nicht so und steht auch nirgends im Beitrag. Es geht vielmehr um den Nachweis von Wirkung überhaupt – und was den nicht erbringen kann, nach vernünftigen Maßstäben, ist eben keine Medizin, sondern verfällt dem Verdikt, Alternativmedizin im euphemistischen Sinne des Wortes zu sein. Es gehören genug nachweislich wirksame Dinge zur wissenschaftlichen Medizin, deren Wirkungsmechanismus noch nicht geklärt, deren Wirkung aber eindeutig nachgewiesen ist. Die Grenzziehung zur Alternativmedizin setzt nicht bei „Wirkungsnachweis“, sondern bei „Wirkung“ ein.
Zudem gehören zum Nachvollzug von Frau Grams‘ Grenzziehung auch Informationen und gesichertes Wissen über Mittel und Methoden hinsichtlich des wissenschaftlichen Standes ihrer Wirksamkeit. Sonst kommt es ja wieder dazu, dass -vielleicht durchaus guten Gewissens- mit voller Überzeugung Methoden der Evidenzbasierung zugerechnet werden, die dort nicht hingehören. Siehe Akupunktur.
Und da sind wir beim Kontext der ganzen gegenwärtigen Diskussion: Es bedarf schon grundlegenden Wissenschaftsverständnisses und fundierter, ständig akualisierter Kenntnisse über den Stand der Wissenschaft, um diese Zuordnung überhaupt vornehmen zu können. Die Ärzte verfügen durch ihr vieljähriges Studium über die notwendigen Verständnisgrundlagen und bekommen diese Informationen laufend durch ihre Pflichtfortbildungen und durch die Leitlinien der evidenzbasierten Medizin. Woher aber sollten Heilpraktiker diese Kenntnisse und die Fähigkeit, sie einzuordnen, haben?
Mir ist klar, dass ich die von Frau Grams gezogene Grenze aufgeweicht habe. Ihre lehrerhafte Zurechtweisung finde ich unpassend (fehlende Auffassungsgabe ect). Für mich ist ein Heilpraktiker so wie ich ihn definiere: Jemand der praktisch heilt (Leiden lindert, verhindert oder heilt…) – mehr nicht. Und ich bin gegen die Anwendung unwirksamer Mittel gegen Bezahlung. Ich muss/will auch keine Diagnose stellen (dubiose Diagnose-Verfahren, auch wenn es per HP-Gesetz erlaubt ist) – das können Ärzte besser. Ihre rein wissenschaftliche Denkweise funktioniert einfach nicht – praktisch.
Ich würde die Grenze zwischen Wellness (tut subjektiv gut) und Medizin (wirkt objektiv) ziehen wollen. Wären wir uns darin einig, dass Ärzte für die Medizin zuständig sind, wobei sie in der Zuwendung aus Body-Mind-Gründen noch etwas besser aufgestellt sein könnten und HPs für Wellness? Also für das, was einfach gut tut, wobei es aber nicht um Wissenschaftlichkeit, Nachweisbarkeit und objektive Messbares geht?
Sie liefern hier beständig weitere -und bestätigende – Argumente gegen das Heilpraktikerwesen. Ich habe Ihnen die Irrtümer in Ihrem Statement belegt, im Falle der Akupunktur mit dem einschlägigen Quellennachweis. Was ist daran Zurechtweisung?
Sie sind offenbar der Ansicht, ich würde Ihnen bzw. Ihren Äußerungen nicht genug Respekt entgegenbringen. Täte ich das, würde ich mir nicht die Mühe einer Antwort machen. Zudem kann ich die ständigen ad-personam-Unterstellungen einfach nicht mehr nachvollziehen.
Nur: Für Sie ist der Heilpraktiker so, wie Sie ihn definieren? Was sie danach ausführen ist – entschuldigen Sie- völlig inkonsistent. Sie zeigen allein mit diesem Satz, dass Sie den Unterschied von Meinung und Fakten, von gesicherter Objektivität und beliebiger Subjektivität, nach wie vor nicht verstanden haben. Wie die allermeisten Verteidiger des Heilpraktikerwesens gegen die aktuelle Kritik. Das tut mir angesichts der vielen einschlägigen Artikel dazu gerade auf diesem Blog wirklich sehr leid.
Das ist der Punkt: diese sogenannte Objektivität ist ein Fiktum, weil ohne den Menschen gedacht – sinnentleert. Was wirkt ist Medizin? Wenn ich jemandem eins überbrate, dann wirkt das auch, na und? Mir persönlich liegt nichts am Heilpraktiker-Beruf. Ich kann mich auch anders nennen. Langsam denke ich da sogar ernsthaft darüber nach. Nur zweifle ich vehement an der reinen, abstrakten Objektivität und halte dieses Denken sogar für brandgefährlich. Was wollen Sie eigentlich damit bezwecken? Daher mein Engagement!
Ja, in die Richtung könnte es schon gehen, wobei ich den Begriff „Wellness“ eigentlich gar nicht mag. Darin steckt zu wenig Potenzial zur Veränderung. Eine „ungünstige“ Lebensweise soll mit zeitweiligem Wohlfühlen ausgeglichen werden – bewirkt langfristig aber oft das Gegenteil. Dafür ist mir eigentlich die Zeit zu schade. Ich bin eher für nachhaltiges Erleben/Erkennen, aber immer mit beiden Beinen auf dem Boden und dem Arzt im Hintergrund. Also, Heilpraktiker sind nicht immer nur Spinner 😉
„Alternativmedizin“ oder wie Sie es treffender als Pseudomedizin bezeichnen, ist wohl ein ganz natürliches Produkt, das entsteht, wenn außergewöhnliche Phänomene gedeutet werden, ohne das Wissen über ihre wahren Mechanismen zu besitzen. Einst waren es die Religionen, die die Sehnsucht und Hoffnung auf etwas Mächtigeres, dem wir ohnmächtig ausgeliefert sind, als nicht zur Diskussion stehendes Wunder deklarierten.
Der Mensch braucht Hoffnung –
gerade in Lebenskrisen. Sobald man Hoffnung und damit einen Ausweg oder ein Ziel vor Augen hat, erhält man wieder die Energie, die es einem ermöglicht, den Widrigkeiten des Lebens trotzen zu können. Gefährlich wird es meiner Ansicht nach aber dann, wenn die Hoffnung zum Selbstzweck wird und die Realität verdrängt.
Ich stimme Ihnen vollständig zu, dass eine offene Medizin jede wirksame (!) Heilmethode in sich aufnimmt und sich keinesfalls gegen neue fundierte Erkenntnisse sträubt. Warum auch? Jede neue Medizinergeneration lernt von ihren Vorgänger/innen und verbessert während ihrer Wirkzeit die Medizin ein klein bisschen oder auch ein bisschen mehr.
So, wie es in der wirklichen Welt keine Alternativrealität gibt, hat auch eine Alternativmedizin in der echten Lehre zur Heilung von Lebewesen keine Daseinsberechtigung. Wer an alternative Realitäten glauben möchte, darf und soll das natürlich. Aber so wie Sie schon sagten, hat das dort, wo es um die Erhaltung von Leben geht, nichts zu suchen.
Lassen Sie sich auf Ihrem aufklärerischen Weg nicht entmutigen. Je unfairer und gemeiner die Kritik an Ihrer Arbeit ausfällt, umso sicherer befinden Sie sich auf genau dem richtigen Weg!
Danke für Ihre unterstützenden und ergänzenden Worte 🙂
@Osterhasebiene Langnase 3. September 2017 13:36
>> Also, Heilpraktiker sind nicht immer nur Spinner
Was Sie wahrscheinlich sagen wollten, war, dass nicht alle Heilpraktiker Spinner sind. Dem würde ich sofort zustimmen. Im Nachgang der Münsteraner Initiative äußern sich momentan leider vorwiegend die Schreihälse, die mit Unterstellungen, Beleidungen und Falschbehauptungen um sich werfen. Mit dem Rest wird man m.E. reden können, wenn sie sich der richtigen Medizin zu- und von vermeintlichen „Alternativen“ abwenden.
Der Rest Ihres kurzen Beitrags wiederholt leider eine unzulässige Verallgemeinerung, die zu falschen Schlussfolgerungen verleitet.
Nicht jeder Mensch, der ärztliche Hilfe sucht, tut dies aufgrund einer „ungünstigen Lebensweise“. Manche haben sich auch einfach den Arm gebrochen, haben Grippe oder Zahnschmerzen und brauchen keine Wellness und kein „nachhaltiges Erleben/Erkennen“, sondern konkrete und wirksame Hilfe.
In Ihrer Formulierung schwingt die esoterische und in der Pseudomedizin oft vertretene „Theorie“ mit, dass die von chronischen Erkrankungen oder z.B. on Krebs Betroffenen für ihren Zustand selbst verantwortlich seien und nur ihren Glauben und ihre Lebensweise ändern müssten, um gesund zu werden. Wer trotzdem stirbt, hat einfach nicht genug geglaubt.
Das ist nicht nur erwiesenermaßen falsch, sondern auch gefährlich, weil es Patienten dazu bringt, wirksame Therapien abzulehnen (Steve Jobs ist ein prominentes Beipiel), sondern ihnen zusätzlich zu ihrem Leiden auch noch psychische Probleme aufhalst, namentlich Schuldgefühle.
Trennen Sie sich bitte von ihren esoterisch-romantisierenden Vorstellungen vom Arzt/Patientenverhältnis. Nicht jeder Patient braucht gleich eine Psychotherapie („Erleben/Erkennen“), nur weil er/sie gerade mal eine Infektion oder eine blutende Wunde hat. Und auch ein wissenschaftsbasierter Therapeut kann und sollte und muss empathisch arbeiten, und viele tun das auch.
@2XHINSCHAUEN
Was Sie mir da alles unterstellen? Es ging um Wellness, nicht um Medizin (Beinbruch usw.). Da ist es in der Praxis so, dass gestresste Menschen denken, ein Wochenende Entspannung könnte die Energie geben, um dann wieder im gleichen Tempo weiterzumachen. Das geht ein paar Mal, aber nicht auf Dauer gut. Ich mache niemanden für Krankheiten wie Krebs u.ä. verantwortlich, bin weder Romantiker noch Esoteriker und gehöre eigentlich gar nicht in Ihre Schublade „Heilpraktiker“. Mit ist die Ethik in der Medizin sehr wichtig sowie der freie Wille des Patienten. Mit Glauben hat das allerdings wenig zu tun. Wenn die Medizin ihre Verantwortung dem Menschen gegenüber wahrnimmt, brauche ich keine Alternativmedizin.
Vorsicht, ich dachte früher auch gerne, ich sei nicht so wie andere Homöopathen; Scharlatane sind eh immer nur die anderen. Wir verpassen da aber einen kritischen Blick auf uns selbst, wenn wir es uns so einfach machen. Meist gibt es mehr Überschneidungen mit den Fehlannahmen des Kollektivs, in dem man sich bewegt, als man zuzugeben bereit ist. Und ich höre bei Ihren Kommentaren auch das übliche „HP-Gerede“ heraus, wenn ich das so direkt ansprechen darf. Sie haben hier doch schon oft gezeigt, dass Sie der kritischen (Selbst-)Reflexion mehr als fähig sind, wagen Sie doch auch hier den Versuch, das bisher fest Geglaubte in Frage zu stellen. Und: selbst wenn Sie die „rühmliche Ausnahme“ (ernst gemeint!) sind, was ändert das an der Problematik der Alternativmedizin oder auch an der Kritik von Herrn Endruscheit und auch des Münsteraner Kreises am Heilpraktikerwesen?
Sie haben da völlig Recht, Frau Grams. Ich entwickle mich mehr und mehr zum Kritiker meines eigenen Berufs und verbringe mehr Zeit mit Abgrenzung als mich auf meine eigentliche Tätigkeit zu konzentrieren. Und dann kommen die Menschen mit einer ganz bestimmten Erwartung, die ich (meistens) enttäuschen muss (Keine Homöopathie? Keine Glaskugel? Keine Spritzen? Selbst was tun?), mal ganz abgesehen von Erwartungen hinsichtlich privater Zusatzversicherungen. Nach jedem HP-Seminar bleibt ein komisches Geschmackerl (so viel Unlogik und Kurzschluss, „eigene“ Gesetze). Aber natürlich wird man auch beeinflusst, wischt die Zweifel beiseite, möchte dazugehören (tolle Stimmung, gute Leute, alle duzen sich, Netzwerke). Fortbildungen bei der sgd (Studiengemeinschaft Darmstadt) sind dagegen echt super, hier ist das Studi-Material ideologiefrei und immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Beim Lehrgang „Prävention und Gesundheitsförderung“ wurden z.B. auch verschiedene „alternative“ Ernährungformen (wie Blutgruppendiät usw.) nach DGE-Empfehlung wertfrei beurteilt, sodass man auch gleich die Argumente bei der Hand hat. Ich werde mir doch noch ein neues Schild machen lassen müssen!
Würden bloß alle „Alternativmediziner“ mit dem selben Elan und der gleichen Hingabe mal ein richtiges Medizinstudium hinter sich bringen, könnte man noch mal darüber senieren, ob man sie noch mal auf die Gesellschaft loslassen könnte 😉 Wobei ich mir für die Gesellschaft nichts sehnlicher wünsche, neben der Bildung natürlich, als eine super Gesundheitsversorgung. Vor allem diejenigen, die sich „Alternativmediziner“ nennen, sollten damit angesprochen werden, die tatsächlich daran glauben, dass sie anderen Menschen etwas Gutes tun und etwas gutes tun wollen. Es geht mir gerade weniger um die, die eines reines ökonomisches Interesse verfolgen. Dieser Motivation existiert praktisch in jedem Berufsstand.
@Osterhasebiene Langnase 4. September 2017 6:24
Nun, eine Pointierung wie zuvor die meinige führt meistens zu Fundamentalwiderspruch – dann können die Mitlesenden die Qualität der Argumente vergleichen – und aber manchmal zu Relativierung und Differenzierung wie bei Ihnen. Dann ist man im Gespräch, und dafür und für die Klarstellung Ihrer Position bedanke ich mich aufrichtig.
Gleichwohl möchte ich zu „der freie Wille des Patienten“ noch etwas einwenden, und ich meine nicht die, denen aufgrund Bewusstlosigkeit oder eingeschränktem Urteilsvermögen ein (informierter) freier Wille nicht zur Verfügung steht.
Der „freie Wille“ wird in einer Welt, in der man für immer mehr Alltagsentscheidungen immer mehr Fachwissen benötigt, allmählich zur Schimäre. Urlaubsziel, Geldanlage, Autokauf, Heizungsreparatur… man kann sich natürlich mit allem auskennen, aber eben nicht mit allem (Wortspielchen, Verzeihung).
Man muss sich jeden Tag mehr und mehr bei seinen Entscheidungen auf Fachleute verlassen können. Natürlich erklären die einem alles, und man kann mehr als einen fragen usw. – irgendwann müssen Sie sagen, was Sie „wollen“. Besser gesagt: Wem sie vertrauen wollen.
Im medizinischen Bereich geht dies oft zugunsten eines/einer Heilpraktikers/-in aus. Was die Kritiker infrage stellen, ist nicht die „Entscheidung“ der Patienten oder gar deren Recht auf eigene informierte Entscheidungen (*gerade* letzteres nicht!!), sondern die Vertrauenswürdigkeit eines (womöglich nicht kleinen) Teils der Heilpraktikerschaft, die weder Wissen noch Fähigkeiten noch, wie man befürchten muss, immer die Berechtigung zu ihrem Tun hat. Die die Patienten mit esoterischem Murks und Privattheorien fehlinformieren, sogar betrügen und im schlimmsten Fall schädigen. Die kein Vertrauen und mithin auch keine Sonderrechte im Gesundheitssystem verdienen.
An dieser Stelle kommt dann immer der Standardeinwand, dass das alles in der „Schul“-Medizin ja auch vorkommt. Lesen Sie das Münsteraner Memorandum: Das wird nicht abgestritten.
Die Standardantwort hier ist aber: Was tut man, wenn Flugzeuge abstürzen? Ohne Studium und Mathematik aufgrund einer privaten „Alternativphysik“ oder „jahrtausendealtem Wissen über das Fliegen“ aus Pappe und Bindfaden selber welche bauen?
Absurd, oder? Niemand würde diese Dinger für den Luftverkehr zulassen! Nur im Bereich der Pseudomedizin gibt es genau das.
Und dagegen treten die Kritiker an. Nicht gegen Ihre Freiheit und Selbstbestimmung als Patient. Und auch nicht gegen die Hobbyflieger, die einen Pilotenschein machen, bevor sie versuchen, es besser zu machen als de „Schul“-Piloten.
Ok?
@2XHINSCHAUEN: Nichts gegen die Wissenschaft mit Plan und Ziel, mit Ethik für Mensch/Tier und Umwelt. Von der Chinesischen Medizin könnte man viel lernen.
Und zur Beziehungsebene @2XHINSCHAUEN: Sie müssen mir die Welt nicht erklären wie einem Kleinkind. Es gibt nichts zu bedauern. Beziehung: Nein, danke!
Viel Spass beim Papierflieger-Basteln…!
2XHINSCHAUEN, der „freie Wille des Menschen“ bzw. des Patienten hat tatsächlich relativ wenig mit Kompetenz zu tun. Sonst hätte ein Analphabet ja weniger davon – das ist Quatsch. Würde er nur von Kompetenz/Wissen abhängen, dann wäre ein Mensch letztendlich völlig entscheidungsunfähig, weil davon immer zu wenig vorhanden ist. Also braucht´s zur Entscheidungsfindung noch mehr und zwar: Emotionen (hat man ja auch wissenschaftlich herausgefunden, ich glaube, anhand dieses Typs, der sich bei einem Unfall einen Gegenstand durchs Frontalhirn gestossen hatte, trotz ärztlicher Prognosen wieder gesund wurde, nur mit dem Manko: Er konnte keine Entscheidungen mehr treffen. Es war das Zentrum für die Emotionen zerstört worden. Soviel zur Entscheidungsfreiheit an sich, die JEDEM (noch so Unwissenden) zugebilligt werden muss – laut Grundgesetz. Der Arzt klärt auf, mehr nicht. Will der Patient keine Aufklärung, auch gut – er darf trotzdem über sein Leben entscheiden.
Zur Vertrauenswürdigkeit: da spielt wieder der freie Wille hinein. Der Mensch entscheidet, wem er sein Vertrauen schenkt. Hier kann nur ein Appell an Ärzte/Heilende gerichtet werden, dieses im Sinne der Menschenwürde nicht zu missbrauchen. Und dann hat dies Berufsgruppe ja strenge gesetzliche Vorlagen, was sie darf, was nicht. Hier sind dann bei Zuwiderhandlung entweder Gerichte zuständig oder (moralische) Beurteilungen durch Patienten/Kollegen/Angehörige, was dem Image empfindlich schaden kann.
Von romantisierenden Vorstellungen (Schwarzwaldklinik u.ä.) meinerseits kann keine Rede sein. Manchmal (oft sogar) ist der „harte oder unsympathische“ Arzt die menschlich bessere Wahl.
Der Heilpraktiker-Beruf so wie er heute ausgeübt werden darf, braucht – meiner Ansicht nach- wirklich dringende Überarbeitung, um dieser unendlichen Vielfälltigkeit ein einheitlicheres und klareres Bild zu geben. Heilpraktiker=Esotheriker, das darf eigentlich nicht sein. Es ist wichtig, dass es ein Zwischenglied (heilerisch tätige Berufe) zwischen Arzt und Patient gibt. Ich glaube, darin stimmen (fast) alle überein.
@Osterhasebiene Langnase
Hm … was Ihre drei kurzen Kommentare vom 5. und 6. Sept. mit meinem Beitrag zu tun haben, habe ich nicht verstanden. „Beziehung“ ?!? Egal. Wenn’s für Sachargumente nicht reicht, geht’s dann doch gleich wieder ad personam. Naja.
Bezüglich der Chinesischen Medizin empfehle ich diesen aktuellen Beitrag: https://ganzheitlichdurchleuchtet.wordpress.com/2017/09/05/exportschlager-aus-china-magisches-denken/
Frau Grams, es gibt nicht nur die Alternative zwischen einem leeren und einem vollen Glas, was die Diskussion über die Wirksamkeit der Alternativmedizin im Vergleich zur Schulmedizin angeht. Für mich ist eine wirksame Alternativmedizin eher eine die Schulmedizin wirklich ergänzende KOMPLEMENTÄRMEDIZIN. Denn es gibt in fast allen Krankheitsbereichen sehr viele ergänzende Behandlungsmöglichkeiten, die vielleicht nicht immer rein bio-medizinisch, aber dennoch heilungsunterstützend sind. Jede sinnvolle Erweiterung der schulmedizinischen Behandlung mit nachweisbar wirksamen Interventionen ist dann eben doch eine Alternativmedizin. Bluthochdruck wird schulmedizinisch ja mit meist mehreren Medikamenten behandelt. Wirksamer wäre es aber, wenn zusätzlich ergänzende Methoden wie Joggen, Autogenes Training, Ernährungsberatung oder auch Meditation zur Anwendung kämen. Das wäre für mich eine echte Alternative zur rein biologischen Behandlung durch die Hausärzte. Und in diesem Komplementärbereich ist meines Erachtens auch der Sinn eines zukünftigen und zweifelsfrei zu reformierenden Berufsbild des Heilpraktikers zu sehen. Denn dieser sollte ja, wie der Name schon zeigt, eine Heilungsunterstützung durch praktische Methoden anbieten und so die Schulmedizin ergänzen, aber keinesfalls ersetzen dürfen. Kurzum: eine erweiterte Behandlung mit Berücksichtigung auch psychosozialer Krankheitsfaktoren ist durchaus eine Alternativmedizin zur rein schulmedizinischen Behandlung.
Oh, da liegen wir nicht sooo weit auseinander. Allerdings – haben Sie sich schon einmal die Leitlinien zur Behandlung von Bluthochdruck angesehen? Auch da sind lebensverändernde Maßnahmen die Therapie der ersten Wahl. Dass diese nicht selten unterbleiben, liegt vielmehr am inneren Schweinehund vieler Patienten als am guten Willen der Medizin und der Evidenz dazu.
Wenn schon Alternativmedizin, dann in der Tat komplementär. Über das, was da hilft, hab ich mir in meinem 2. Buch Gedanken gemacht. Yoga und Entspanungsmaßnahmen zeigen da z. B. tatsächlich Effekte bei einigen Diagnose und Befindlichkeitsstörungen. Die große Verallgemeinerung würde ich daraus aber nicht machen wollen.
Eines unterscheidet uns in unseren Einschätzungen dennoch: Ich halte eine „große Verallgemeinerung“ durchaus für zwingend erforderlich. Nicht zufällig versteht auch die WHO unter Krankheit ein bio-psycho-soziales Komplexgeschehen. Es mag sein, dass lebensverändernde Maßnahmen Therapie der ersten Wahl in den Leitlinien zur Behandlung z.B. des Bluthochdrucks sind. Aber welcher Arzt verordnet Yoga, Autogenes Training oder Joggen inklusive der Vermittlung von Ansprechpartnern? Viele Patienten müssen tatsächlich persönlich auf geeignete Weise angesprochen, motiviert und begleitet werden. Ebenso müssten diese Maßnahmen auch von den Kassen finanziert werden. Dann hätte man eine gute „Alternativ-Medizin“ gefunden.
Ja, auch die Integration hinsichtlich Finanzierung müsste für diese medizinische Ergänzung/Begleitung erfolgen. Dann würde der unseeligen Geschäftemacherei (Produkt-Verkauferei) endlich ein Riegel vorgeschoben.
@ Heilpraktiker Psychotherapie 6. September 2017 19:45
>> Jede sinnvolle Erweiterung der schulmedizinischen Behandlung mit nachweisbar wirksamen Interventionen ist dann eben doch eine Alternativmedizin. <<
Zu diesem Punkt, den Frau Grams diesmal nicht kommentiert hat, der aber oft Thema ist: Wenn etwas erwiesenermaßen wirkt, ist es Medizin. Nicht Komplementär-, nicht Alternativ-, sondern wissenschaftliche Medizin.
Nun mag es sein, dass hier der (normalerweise abwertend gebrauchte) Begriff der "Schulmedizin" aufs Pillenverabreichen oder auf das reduziert wird, was von den Kassen bezahlt wird. Das ist so schade, wie es falsch ist, und alle Kritiker der Pseudomedizin, die Münsteraner inklusive, sind die ersten Kritiker des überholten und unzureichenden Vergütungssystems für medinische Leistungen.
Um meine Luftfahrtanalogie auf dieses Argument anzupassen: Die Fahrten zum Flughafen und vom Zielflughafen zum Zielort sind kein Komplementärverkehr. Sondern Verkehr, der zum Ziel führt. Und wer mit der Bahn fährt statt zu fliegen, betreibt keinen Alternativverkehr, sondern Verkehr, der zum Ziel führt. Da ist schlicht kein Platz für Komplementäres und Alternatives.
@Osterhasebiene Langnase 7. September 2017 0:16
In dem Beitrag finde ich nichts, dem ich widersprechen müsste. Zum Zusammenhang zwischen Emotion(alität) und Entscheidungsfähigkeit würde ich ergänzen, dass der vielleicht darin liegt, was der Volksmund „Intuition“ oder „Bauchgefühl“ nennt – Dinge, die, wenn ich die Studienlage nicht falsch kenne, meist die Hoheit im inneren Entscheidungsprozess haben, egal wieviele Fakten man gewälzt hat.
Was man dann natürlich auch dem „Schul“-Mediziner zugestehen muss, wenn er sich bei einem konkreten Patienten für einen Beratungpfad oder eine Therapie entscheiden muss.
@2XHINSCHAUEN
Für die „Meinung, Subjektivität“ oder Intuition beim Arzt gibts sogar einen Fachbegriff: „ärztliche Indikation“ im Gegensatz zur „medizinischen Indikation“.
Wie traurig, @2XHINSCHAUEN, dass Sie nicht widersprechen MÜSSEN…klingt fast so als hätten Sie sich professionell auf´s Fehler-Suchen spezialisiert… So, das war jetzt aber der letzte Kommentar zur Beziehungsebene (vergl. „Gewaltfreie Kommunikation“)
@2xHINSCHAUEN: Ihre Auslegung ist nicht ganz exakt, denn nicht alles was wirksam ist, ist auch Medizin. So ist z.B. die Untersuchung sozialer Faktoren, die in eine Krankheit führen können, keine Medizin. Dennoch ist eine soziale Analyse aber wirksam, wenn auslösende Faktoren im sozialen Umfeld (z.B. Mobbing) ermittelt und durch geeignete Interventionen verändert werden können. Die Wirkung ist da und heilungsfördernd, ohne selbst Medizin zu sein.
Auf diesen Erkenntnissen beruht die ICF (Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) ist eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Die ICF dient der Erfassung von psychologischen, sozialen und umfeldbdingten Kontextfaktoren, die eine Krankheit begründen, verschlimmern oder wieder reaktivieren können. Auch hier gibt es klar nachgewiesene Wirksamkeiten, z.B. dauernde Überlastung der Knie durch Treppensteigen. Wird nun ein Treppenlift eingebaut oder ein Umzug eingeleitet, tritt eindeutig eine heilende Wirkung ein, ohne Medizin zu sein.
Ein weiteres Beispiel für Komplementärmedizin ist die ambulante Sozialpsychiatrie. Hier werden Angebote zur Tagesstrukturierung, zur Kontaktfindung, zur Arbeitsintegration und zur Konfliktlösung angeboten, meist durch Sozialarbeiter. Die Sozialpsychiatrie ist ein klassisches Element der Komplementärmedizin, ohne selbst medizinisch zu behandeln. Die Wirksamkeit z.B. durch Betreutes Wohnen ist nachgewiesen, da die Krankenhausbehandlung in ambulanten Wohngruppen ganz massiv sinken. Auch hier liegt eine Wirksamkeit vor, ohne selbst Medizin zu sein.
Es ist nicht die Medizin, die uns vergiftet (das auch), sondern das „Gift“ ist bereits in uns selbst vorhanden, es hat unser Denken und v.a. unsere Emotionen vergiftet. Es ist das nicht-bedürfnisorientierte Leben!