Der Einfluss unserer Ahnen auf unser Leben
Wie es halt so ist: Man postet etwas auf Facebook und erhält dann Kommentare und Links, die man gar nicht so gerne sieht.
In meinem Fall habe ich über eine neue Selbsthilfegruppe berichtet, die sich mit dem Thema „Ahnen-Faktor“ auseinandersetzt, deren Mitglieder also den Einfluss ihrer Verwandten (über mehrere Generationen hinweg) auf ihr eigenes Leben zu ergründen versuchen. Dass diese „transgenerationale Psychologie“ kein Humbug ist, sondern durch die aktuelle biologische Forschung bestätigt wird, ist ein spannendes und aktuelles Thema.
Immerhin wissen wir wenig mehr, als dass Erfahrungen unserer Vorfahren sich modifizierend auf ihr (und damit auch unser) Erbgut auswirken. Die DNA als Trägerin der Erbinformationen bleibt unberührt, aber die Freischaltung bzw. Hemmung bestimmter Gene, die für die Produktion spezieller Enzyme verantwortlich sind, wird durch Umwelteinflüsse wie eben auch durch Erfahrungen beeinflusst. Das ganze „Paket“ aus DNA + deren „Programmierung“ wird dann weiter vererbt. Der Forschungszweig der Epigenetik beschäftigt sich mit diesen faszinierenden Tatsachen, deren Auswirkung auf unser Leben wir im Moment noch nicht vollständig überblicken.
Ein allemal spannendes Thema für jede Psychotherapie, sofern man sich bewusst ist, wo man sich gerade befindet. Nämlich in der Grauzone zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und spekulativer Interpretation, zwischen biologisch Gesichertem und empirisch zu Ergründendem.
Dass sich die Beschäftigung mit dem „emotionalen Erbe“ unserer Ahnen im Moment noch fest in esoterischer Hand befindet (nämlich in Astrologie, Tarot und verwandten Betätigungsfeldern), sollte Ansporn sein, dieses Thema für wissenschaftliche Betrachtungen zurückzuerobern. Aber gerade an einer solchen Stelle, wo der Nebel noch hoch wabert und der Pfad nur zu erahnen ist, treffen wir natürlich auf allerlei „Berufene“, die sich die Sache zu eigen machen, um ihre mehr oder weniger kruden Ideen als allgemeingültige Tatsachen zu verkaufen (und das im wahrsten Wortsinn).
Kein Vortrag über dieses Thema, bei dem die Frage nicht kommt: Was ist mit Familienaufstellungen? Und so eben auch dieses Mal bei dem eingangs erwähnten Posting auf Facebook.
Inszenierung der Familienkonstellation
Familienaufstellungen erfreuen sich großer Beliebtheit. Eine Person wählt aus einer Gruppe von Menschen Stellvertreter für die Mitglieder der eigenen Familie aus und stellt diese im Raum auf, so dass sich Beziehungen mit Nähe und Abstand ergeben. Der Leiter der Aufstellung befragt dann meist die aufstellende Person sowie die Stellvertreter zu bestimmten Themen. Dieser Prozess löst häufig eine deutliche emotionale Reaktion bei den Teilnehmern aus.
Entwickelt hat die Aufstellung in dieser Form Bert Hellinger. Dieser hat sich allerdings durch einige höchst fragwürdige Aktionen (siehe z.B. den Wikipedia-Artikel) mittlerweile selbst ins Abseits manövriert.
Aus Befragungen von Teilnehmern wissen wir, dass jeder Leiter andere Vorstellungen davon hat, wie die Aufstellung abläuft. Manche interpretieren nichts bis wenig und überlassen die „Verarbeitung“ des insgesamt aufwühlenden Vorgangs den Teilnehmern. Am anderen Ende der Skala stehen Leiter, die eher im Sinne Hellingers agieren und ihre eigenen Deutungen der Aufstellung als apodiktische Wahrheit darstellen.
Aus diesem Grund liest und hört man immer wieder, dass es bei der Familienaufstellung „ganz auf die Leitung“ ankomme. Das Verfahren lebt also nicht von einer unabhängig von der Moderation reproduzierbaren Technik, sondern wird durch Vorstellungen, Einstellung und Persönlichkeit des Leiters erheblich beeinflusst und geprägt.
Aufgewühlt und oft nicht aufgefangen
Natürlich kann man auch an gute und schlechte Elektriker, Chirurgen und Anwälte geraten. Bei deren Profession entsteht aber die Qualität dadurch, dass sie beschreibbare, nachvollziehbare und sinnvoll normierte Arbeitsabläufe besser oder schlechter durchführen, das heißt, der Inhalt ihres Handelns ist klar definiert. Die Familienaufstellung verfügt nicht über einen solchermaßen klaren, definierten und überprüfbaren Inhalt und wird so zum Betätigungsfeld persönlicher Überzeugungen, Vorlieben und Einstellungen des Leiters. Also eine Art Lotterie auf dem emotionalen Hochseil.
Eine Studie der Uni Heidelberg fand einen positiven Einfluss auf Befindlichkeiten bei den Teilnehmern von Familienaufstellungen, weist aber darauf hin, dass aufgrund fehlender standardisierter diagnostischer Zuordnungen keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob das Verfahren psychisch Erkrankten helfen kann. Über eine Wirkung im therapeutischen Sinne gibt die Studie also keine Auskunft. Möglicherweise sind die Verbesserungen im Befinden im Wesentlichen auf die meist positive Erwartungshaltung der Teilnehmer zurückzuführen.
Während meiner bisherigen Tätigkeit habe ich überwiegend negative Erfahrungen mit der Familienaufstellung gemacht, etwa wenn Patienten nach einer solchen Aktion deutlich dekompensiert und verunsichert in die Sprechstunde (oder die nächste Therapiestunde) kamen. Die seelische Erschütterung, die der emotionalisierende Prozess einer Familienaufstellung auslösen kann (und die im Rahmen der Aufstellung meist nicht „aufgefangen“ wird), darf nicht unterschätzt werden. Berüchtigt ist nicht ohne Grund der hier beschriebene Suizid einer Teilnehmerin an einer von Hellinger geleiteten Veranstaltung.
Wie bei allen pseudo- und paratherapeutischen Angeboten muss jeder selbst wissen, worauf er sich einlässt. Fragen mich meine Patienten, ob sie eine Aufstellung machen sollen, erkläre ich ihnen die Problematik, kann aber aufgrund der geschilderten Unwägbarkeiten niemandem guten Gewissens raten, als Patient an einer Familienaufstellung teilzunehmen.
Peter Teuschel
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Beim Familienstellen scheiden sich die Geister: Warum ist das so? Was für die einen Willkür und Hokuspokus, ist für die anderen Ankommen, Befreiung und Erlösung. Ich glaube, der gravierende Unterschied besteht darin, ob jemand tatsächlich an eine bestehende (göttliche) Ordnung glaubt oder eben nicht. Eine Ordnung, die so individuell wie das Leben ist und kein Dogma. Diese Ordnung ist dem Menschen gegeben und wird durch die Geburt in ein bestimmtes Familiensystem „angepasst“. Ich denke, dass diese Ordnung ein uraltes, genetisch eingeschriebenes Überlebensprogramm ist. Beib bei der Herde, alleine kannst du nicht überleben z.B., aber es ist weit kompexer und komplizierter. Es handelt sich um moralische Gesetzmäßigkeiten und führt zuletzt tief ins Religiöse hinein. Was du dem anderen antust, tust du dir selbst an, ist vielleicht die Grundessenz dieser Gesetze. Ich glaube, dass dies ursprünglich den Überlebensvorteil gesichert hat. Der moderne Mensch stellt sich darüber. Er löst sich verstandesmäßig und erleidet Schiffbruch. Das Familienstellen führt den Menschen intuitiv zurück an den „sichersten“ bzw. „gerechtesten“ Platz seiner sozialen Umwelt, der verfügbar ist. Es existieren natürliche Hierarchien und Ordnungen und jeder muss seine Position und seinen ihm angemessenen Platz finden, um ein gelingendes Leben führen zu können. Menschen, die von einem unangemessenen Platz handeln, tun sich selbst und anderen nicht gutes. Wer den richtigen Platz (also „seinen“ Platz) in der Familie nicht gefunden hat, wird ewig und überall danach suchen. Er wird anderen die Verantwortung zuschieben und sie überfordern, denn nur er selbst kennt den „besten“ Platz. So könnte ich mir auch Mobbing erklären: jemand schiebt unbewusst anderen die Verantwortung zu, einen Platz zu geben. Das löst bei den Mitmenschen unbewusste Aggressionen aus – verständlicherweise. Es ist belastend für andere. Familienstellen aktiviert die natürliche (Rang-)Ordnung und sensibilisiert dafür. Menschen verfügen nicht über den Instinkt der Tiere, sondern haben über den Verstand die Möglichkeit, willentlich ihr Leben frei zu gestalten. Sie können Hitler sein oder Kaiser von China, aber es ist nicht „ihr“ Platz im Leben und somit eine leidvolle Geschichte.
Das klingt für modere Ohren sicherlich antiquiert. Jeder entscheidet selbst und ist auch für die Folgen seines Handelns verantwortlich. Es hat nichts mit Dogmatismus zu tun, sondern mit dem Einfügen in eine gegebene Ordnung. Ich denke, dass dies wirklich die Voraussetzung für Liebe und Freiheit ist – im Sinne von Bert Hellinger.