Die Kakophonie der allwissenden Steinzeithirne

 

Young handsome man shout at noisy neighbours, stressed by noise, closing ears with both hands, avoid listening fight

DEIKS ist nun knappe 10 Monate alt. Das Ende der virtuellen Schwangerschaft sozusagen. Für mich Anlass, einmal kurz den Blick zu heben und sich in der Landschaft umzuschauen, wegen der diese Seite ins Leben gerufen wurde.

Fake News, Trump & Co. waren die Ursachen, die uns bewogen haben, gegen Missverständnisse, Fehlinformationen oder blanken Unsinn im Bereich Medizin und allgemein Wissenschaft anzubloggen.

Schwerpunkte waren in den zurückliegenden Monaten sicher die Homöopathie, bei der sich mittlerweile auch einiges tut, so hat z.B. die erste Krankenkasse den Vertrag zur Kostenübernahme der Homöopathie gekündigt. Ein entschlossener Schritt, der mir zeigt, dass es doch noch Entscheidungsträger gibt, die sich mehr an wissenschaftlichen Tatsachen als am Interesse einer bestimmten Klientel (auf Kosten aller anderer) orientieren.

Auch das Thema „Reform des Heilpraktikerwesens“ hat Fahrt aufgenommen, nicht zuletzt durch die Initiative des Münsteraner Kreises. Auch hier zeigt sich, dass das „Bohren dicker Bretter“ Zeit, Engagement und Beharrlichkeit braucht.

Andererseits wird wieder jede Woche die viel zitierte Sau durchs Dorf getrieben.

Bestes und aktuellstes Beispiel ist Glyphosat.

Die gegenwärtige Diskussion in den sozialen Medien (die ich jetzt mal als stellvertretend für die öffentliche Diskussion hernehme) ist geprägt durch eine krude Mischung aller in diesem Zusammenhang relevanter Standpunkte.

Da geht es dann wild durcheinander: „Glyphosat ist krebserregend und wenn es das doch nicht ist, ist es toxisch und wenn Kaliumphosphat doch schlimmer ist, hätte Schmidt das nicht im Alleingang durchdrücken dürfen und wenn doch, wollen wir das insgesamt nicht mehr haben, das ganze Gift in der Landwirtschaft und im Essen.“ So oder so ähnlich vibriert die virtuelle Luft.  Ein hektisches, manchmal hysterisches und immer kakophones Getöse auf Facebook, Twitter, Instagram. Daneben muss man noch schnell was gegen Trump twittern und sich gegenseitig bestätigen, dass der ein Psychopath ist und zwar genau, was für einer. Die Parteien mischen munter mit und werfen passende oder unpassende Schlagwörter in den Ring, in dem gerade die große Wrestling-Show „Alle gegen alle, aber wir haben Recht!“ stattfindet. CSU-Schmidt grinst selbstgefällig wegen seinem Alleingang, die Grünen faseln von Bienen und Schmetterlingen, SPD-Schulz ist mit seiner Siemens-Schelte mal wieder völlig auf dem falschen Gleis und die CDU in persona Angela Merkel sagt -natürlich – zu allem nichts. Schweigen ist auch ein Beitrag, wenn auch ein schwacher.

Was ich mich frage: Wieso glauben so viele, alles beurteilen zu können? Und wenn sie es nicht können, wieso glauben sie den Falschen? Und wenn es Studien und Aussagen unabhängiger Wissenschaftler gibt, wieso müssen diese wie unter einem Zwang in Misskredit gebracht werden („von Pharma bezahlt und so …“)?

Diese Superschlauen, die das alles glauben zu wissen und beurteilen zu können, verlegen die auch ihre elektrischen Leitungen selbst? Reparieren sie den Wasserrohrbruch mit eigenen Händen? Und wenn das Auto liegenbleibt, rufen sie nicht den ADAC oder die Werkstatt, sondern kriegen die Karre wieder selbst in Schwung? Sie wissen genau, dass „Naturmedizin“ besser ist als „Chemie“, obwohl sie nicht zwischen Homöopathie und Heilpflanzen unterscheiden können. Sie sind sich sicher, dass Donald Trump ein Narzisst ist und dass die Schmetterlinge aussterben. Alle Ärzte sind von der Industrie bestochen oder machen zynisch Millionen auf Kosten ihrer Patienten. Alle Wissenschaftler sind Käuze und irgendwie suspekt. Die Presse ist gleichgeschaltet und wenn man genau hinschaut, ist Deutschland kein Staat, sondern eine GmbH.

Irgendwo in dieser zugegebenermaßen wilden Melange finden sich die meisten der mit hochrotem Kopf in den sozialen Medien postenden Alleswisser. Lauter kleine Trumps, selbstgefällig, gegen Bildung, gegen Vernunft, gegen Mäßigung.

Was kann man dagegensetzen?

Den Willen, sich nicht verrückt machen zu lassen von all dem Geschrei. Die Überzeugung, dass es noch genug Menschen gibt, die vernünftig sind oder zumindest sein wollen. Die Demut, nicht allwissend zu sein und die Bereitschaft, sich dieses Wissen sowie Hilfe bei denen zu holen, die über eben dieses Wissen verfügen, das einem selbst fehlt. Zum Schluss noch die Kraft, allen Scharlatanen und Rattenfängern zu widerstehen, auch wenn sie noch so charmant oder eloquent oder mit dicker Brieftasche daherkommen.

Letztlich ist es die Bereitschaft, anders sein zu wollen als Donald Trump oder andere, die mit viel Macht und Ego ausgestattet sind, sich aber der evolutionären Errungenschaft der Großhirnrinde mit Erfolg verweigern. Die Bereitschaft zu glauben, dass wir nur zusammen (und jeder auf seinem Posten, den er durch seine Bildung und seine Befähigung innehat) eine Chance haben, diesen Planeten mit Anstand und Würde gegen anarchische Steinzeithirne zu verteidigen.

Ich bin – trotz allem – guten Mutes!

Peter Teuschel

Bild: © Damir-Fotolia.com

 

6 Responses
  1. Neenee, Du verstehst das falsch. WIR sind die Alles- und Besserwisser! Und arrogant noch dazu! Wir blicken ja auch gar nicht über den Tellerrand! Höre ich zumindest ständig -.-

  2. Ja man könnte verzweifeln an der allgemeinen Attraktivität der Unvernunft. Und an ihrer exponentiellen Reichweitenvergrößerung durch „das Netz“.

    Aber auch Rauchen war (mindestens) jahrhundetelang cool: Vorbei.

    Die herablassend belächelte, aus Rohstoffmangel geborene Kreislaufwirtschaft der ehemaligen Ostblockländer ist heute ein institutionalisierter Normalfall bei uns. Wir lassen uns sogar auslachen dafür, dass wir so ordnungsversessen sind, dass wir sogar unseren Müll sortieren.

    Während insbesondere die ach so profitgeilen Amerikaner jede Art von Umwelt- und Klimaschutz für kostentreibendes und freiheitsbeschränkendes Teufelszeug halten, haben wir Filter-, Recycling- und emissionsfreie Energietechnik längst zum Wirtschaftsfaktor gemacht, zu einer Industrie, die vielfach den Weltmarkt anführt.

    Alles das hat 30 oder mehr Jahre gebraucht, nicht gerechnet die einsame Vorlaufzeit, und neuer Unfug kam dazu, wo alter Unfug weichen musste.

    Aber es geht.

  3. osterhasebiene langnase Antworten

    Jipp, so ist das!
    Ich glaube auch – trotz allem – an die Vernunft – im Allgemeinen!
    Wo Psycho draufsteht ist nicht immer Psycho drin, das Wort lässt sich beliebig austauschen.
    Was am meisten mangelt – meines Erachtens – ist die umfassende Kenntnis von Kommunikation und Sprache (setzt die Trennung von Ich und Welt voraus). Wer spricht hier eigentlich? Und wer ist wer? Oder ist der wer ein was?

  4. @osterhasebiene langnase 30. November 2017 6:52

    >> (setzt die Trennung von Ich und Welt voraus). Wer spricht hier eigentlich? Und wer ist wer? Oder ist der wer ein was?

    Das ist mir ein bisschen zu theoretisch (nichts dagegen). Es geht frei nach Karl Marx nicht darum, die Welt zu verstehen, sondern sie zu verändern. Die, die das auf der Seite der Unvernunft mit Ideologien oder Gewinnerzielungsabsicht verbinden (bzw. umgekehrt), wollen allerdings dasselbe (Veränderungen). Und hier kommt dann doch…

    >> die umfassende Kenntnis von Kommunikation und Sprache

    …ins Spiel, bzw. deren Anwendung, d.h. wer seine Überzeugungen besser verkauft, von der Gestaltung des Bildungssystems und der Medienarbeit bis hin zur Art und Weise, wie sich die Politik und die Wissenschaft selbst darstellen. Ich weiß, große Worte, aber das sind rein praktische Fragen mit empirisch hart fundierbaren Antwortoptionen.

    Man darf nicht vergessen, dass das wissenschaftliche Denkgebäude von außen wie jedes andere Glaubenssystem aussieht. Die Art, wie Rationalisten oder Naturalisten davon ausgehen, ein korrektes Weltbild zu haben und dieses vertreten, ist von derjengen eines Ideologen oder Religiösen ohne nähere Befassung nicht ohne weiteres unterscheidbar. Aber es „befasst“ sich ja kaum jemand. Der Mensch ist im allgemeinen mit „glauben“ bzw. „nicht glauben“ zufrieden, was „uns“ ja nicht genug ist.

    Aber da muss man die Leute abholen oder, besser, von Kindesbeinen an Besseres lehren, mit den Mitteln von Kommunikation und Sprache. In Diktaturen gibt es Ideologieschulung ab Kindergarten, und auch bei uns gibt es Religionsunterricht.

    Was Wissenschaft eigentlich ist, lernt man bei uns nicht mal an der Uni.

  5. osterhasebiene langnase Antworten

    @2XHINSCHAUEN In der Sprache zeigt sich das Unbewusste und Individuelle, es gibt viele Ebenen (Wortwahl, Satzbau, Rhythmus…). Manipulation oder Ideologie kann man erkennen, wenn man zwischen den Zeilen liest. Meist beschränkt man sich aber auf die Sachebene (den Informationsgehalt) und es kommt zu vielen Missverständnissen, man spricht aneinander vorbei, der andere fühlt sich „gekränkt“ usw. Die Sprache ist ein komplexes Gebilde. Das Problem an „Sekten“ (Ideologie, Religion…) ist, das die Mitglieder nur eine einzige Sprache kennen. Das Subjekt spricht eben nicht. Möglicherweise ist das auch so in der naturwissenschaftlicher Sprache. Sprache dient eigentlich der Verständigung, also der Verbindung mit etwas Getrenntem, mit einem Gegenüber, obwohl sie zunächst selbst trennt.

  6. Im Moment nervt mich die Unwissenheit beim Thema Glyphosat am meisten, auch wenn Homöopathie und Heilpraktikerunwesen leider auf absehbare Zeit Dauerbaustellen bleiben werden.
    Viele kennen nicht den Unterschied zwischen Pestizid und Herbizid. Vielen ist nicht klar, dass im Bio-Landbau sowohl Herbizide als auch Pestizide erlaubt sind, und zwar Stoffe wie z.B. Kupfersulfat und Pyrethrine, die nachweislich krebserregend sind. Die Uninformiertheit der Politiker und Journalisten, die dann auch noch zu faul sind, zu recherchieren, tun ihr übriges dazu, dass der Großteil der Bevölkerung denkt, Bio-Bauern reißen die paar Unkräuter, die sich in ihr Idyll verirren, des Nachts bei Vollmond per Hand aus.
    Und dann der Trugschluss, dass alle Chemie böse ist – und alles Natürliche gut. Haben die alle keinen naturwissenschaftlichen Unterricht gehabt, oder hat die gefühlte Wahrheit sämtliche ursprünglich vorhandenen Kenntnisse in Chemie und Physik verdrängt? Wie käme sonst die Erkenntnis zustande, dass Hochpotenzen schon irgendwie funktionieren müssen, aber Dihydrogenmonoxid bestimmt ganz gefährlich ist?

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