I
Homöopathen haben es nicht leicht. Der Druck der Fakten und die Eindringlichkeit der darauf fußenden Kritik ist inzwischen groß – eine höchst unerwartete Entwicklung der letzten Jahre. Homöopathiekritiker haben es ebenfalls nicht leicht – zunehmend werden sie mit Versuchen konfrontiert, den Diskurs nicht mehr auf einem argumentativen Level (ungeachtet der Validität der Argumente) zu führen, sondern ihn auf eine emotionale, teils persönliche und gelegentlich diffamierende Ebene zu verlagern.
Die Gegenreaktionen gegen Letzteres sind in den Kommentarspalten homöopathiekritischer Seiten zu beobachten. Nicht die profilierten Kritiker der Homöopathie, aber das kommentierende Publikum spricht angesichts des beschriebenen Diskurswandels zunehmend von „Lügen“ und „Betrügen“ im Zusammenhang mit Homöopathie. (Was zeigt, dass dieser Diskurswandel nicht mehr ist als eine Immunisierungsstrategie, die ihre Wirkung auf zunehmend kritisch werdende Rezipienten verfehlt.)
Ich möchte aus der dezidiert homöopathiekritischen Sicht, die sich allein auf die wissenschaftliche Faktenlage stützt, hierzu Stellung nehmen. Und damit auch die Homöopathiekritik dort – nochmals – verorten, wo sie steht: In einen sachlichen, faktenbasierten, fairen und von Vorurteilen möglichst freien Diskurs außerhalb jeder persönlichen Ebene, ganz unabhängig davon, ob dies umgekehrt auch der Fall ist.
II
Nun, „Lügen“ und „Betrügen“ haben ein entscheidendes gemeinsames Merkmal: Das Handeln wider besseres Wissen.
Ich habe gute Gründe für erhebliche Zweifel daran, ob bei einer nennenswerten Zahl von Vertretern der Homöopathie dieses Merkmal vorliegt. Bis zum Beweis des Gegenteils halte ich auch niemanden aus dieser Szene für „dumm“, was Kritikern häufig unterstellt wird. Das wäre zudem eine sehr schlechte Ausgangsbasis für Kritik.
Es geht um etwas anderes. Der confirmation bias schlägt zu – und zwar heftig. Der Bestätigungsfehler, der gewaltige Kraft hat und immer wieder unterschätzt wird – er ist durchaus in der Lage, weltweite „Hypes“ lange Zeit aufrechtzuerhalten. Er ist beispielsweise auch die ultimative Antwort auf die rhetorische Frage, ob „100 Nobelpreisträger irren können“. Klar können sie. Haben sie auch schon. Der confirmation bias besteht bei ihnen darin, dass sie glauben, die Expertise in ihrem Fachgebiet und die damit erworbene Reputation befähige sie zu einem fundierten Urteil auch auf anderen Fachgebieten.
Begrifflich bedeutet der confirmation bias zunächst „nur“ die Fokussierung der Wahrnehmung im Hinblick auf die Bestätigung bereits vorgefasster Überzeugungen. „Wahrnehmung“ in diesem Sinne ist nicht nur die Rezeption positiver, sondern ebenso die Abwehr infragestellender Informationen. Ist der confirmation bias ausreichend stark und die zu bestätigende Meinung interpersonell sehr gefestigt und bedeutsam, kann sich der confirmation bias übersteigern in etwas, was gelegentlich als „mybias“ bezeichnet wird. Dieser geht insofern über das reine Suchen nach Bestätigung bzw. der Abwehr von Widersprüchen hinaus als er zusätzlich einen sehr starken, mit dem Selbstbild der Person verbundenen Wunsch verankert, ihre Position möge echt und wirklich ganz bestimmt die wahre und richtige sein. Die Verankerung im Kontext einer gemeinsamen Gruppe, die den bias ständig nährt, befördert dies noch. Dies ist durchaus ein schlüssiges Erklärungsmodell für das Festhalten an objektiv unhaltbaren Positionen, weit jenseits von Lüge und Betrug, wie es in der Homöopathieszene geschieht.
Das geht so weit, dass selbst die Ergebnisse „eigener“ homöopathischer Forschung, die keine spezifische Wirksamkeit der Methode belegen konnten, immer wieder als Beweise für das Gegenteil angeführt werden (die Arbeiten von Robert Mathie, Forscher beim Homeopathy Research Institute) erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit) – ein Phänomen, in der Tat.
Ein in diesem Zusammenhang besonders interessantes empirisches Ergebnis aus der kognitiven Sozialforschung sei hier kurz vorgestellt. Wason (1960) [1] ließ Probanden, die in Poppers Wissenschaftstheorie wohlbewandert waren, zu einem Problem eine Hypothese aufstellen und stellte ihnen danach die Aufgabe der „Prüfung“ dieser eigenen Hypothese. Nahezu alle Probanden versuchten durchaus nicht, ihre Hypothese zu falsifizieren, sondern zu verifizieren – hier liegt der Ursprung der Begrifflichkeit „confirmation bias“. Viele Folgeforschungen mit Varianten der Situation haben diesen Befund eindrucksvoll bestätigt. Sehen wir nicht bei den Homöopathen ein ständiges Bemühen, die eigene Position zu rechtfertigen (Bestätigungsforschung [2]), statt angemessen kritischer Falsifizierungsversuche? Was so weit geht, dass der Wissenschaftsbegriff des kritischen Rationalismus als „nicht passend“ für die Homöopathie hingestellt wird.
Nun verwundert dies keineswegs bei dem nahezu unumschränkten Ruf, den die Homöopathie bis vor ganz wenigen Jahren noch genoss. Nicht nur beim Anwender und beim durchschnittlichen homöopathischen Therapeuten, sei er Arzt oder Heilpraktiker, sondern auch im medizinischen und pharmazeutischen Studium – wo Homöopathie allenfalls weitgehend unwidersprochen blieb. Nach der „Marburger Erklärung“ von 1992 hat es kein klares Statement einer akademischen Einrichtung gegen die Homöopathie mehr gegeben, man möchte sagen, im Gegenteil. Erst der freie Zusammenschluss des „Münsteraner Kreises“, der über keine eigene formelle akademische Legitimation verfügt, ist mit der Autorität der Expertise seiner Mitglieder homöopathiekritisch 2018 an die Öffentlichkeit getreten. Das heißt: Die heute Praktizierenden sind fast alle noch in Zeiten ohne jede systematische Kritik in die Homöopathie „hineingewachsen“. Der confirmation bias war vorprogrammiert. Jedoch – in Zeiten, wo die Evidenzbasierte Medizin sich sogar in Entwicklungsländern zu etablieren beginnt, ist hierfür kein Raum mehr.
III
Der confirmation bias zieht aber noch weitere Kreise.
Darf man wirklich annehmen, der Aufwand für homöopathische Forschungen, seien es nun klinische Studien oder sogenannte Grundlagenforschung, entspringe allein bewusster Spiegelfechterei? Das glaube ich nicht.
Wir Kritiker sagen ja gelegentlich, die Studien und Grundlagenforschungen (die sämtlich zwangsläufig auf ein Hornberger Schießen hinauslaufen) dienen der Selbstbestätigung des homöopathischen Publikums bzw. der „praktischen“ Therapeuten, also der „Gemeinde“. Das ist sicher richtig und wohl auch ein Motiv, man muss sich nur ansehen, wie triumphierend immer wieder von einzelnen Homöopathen irgendeine neue Studie als „ultimativer Beweis“ präsentiert wird (und kurz darauf in sich zusammenfällt [3]).
Aber im Großen und Ganzen dürfte auch diese Forschung überwiegend ebenso auf dem „mybias“ beruhen, der Verbindung der kognitiven Verzerrung in Richtung auf die bestehende Ansicht und dem Willen, im Recht zu sein, mit dem Selbstbild. Zweifellos treibt diese starke Kraft zu einigem Aufwand – es „geht um was“. Zumal in einer Gruppe, die sich ohnehin in den letzten Jahren unerwartet zunehmender Kritik ausgesetzt sieht.
Das nächste Indiz für das Wirken des „mybias“ sind die teils unglaublichen Unzulänglichkeiten, die sich homöopathische Forscher in ihren Arbeiten immer wieder leisten. Wenn man sich in Arbeiten wie die in den Links unter [3] beispielhaft angeführten vertieft, fasst man sich an den Kopf und fragt, was einen ohne Zweifel intelligenten Menschen dazu veranlasst, solche Fehlleistungen zur Veröffentlichung zu bringen. Hier ist der bias offenbar so stark, dass er selbst den Gedanken an eine mögliche Beschädigung der eigenen wissenschaftlichen Reputation verdrängt. Prominente Beispiele dafür sind Herr Benveniste und Herr Montagnier, beides geachtete Wissenschaftler, der letztere gar Nobelpreisträger, die beide ihre Reputation im Zusammenhang mit unhaltbarem Zeugs als Beweisversuche pro Homöopathie eingebüßt haben.
Das Wirken des bias erkennt man auch an dem sichtlichen Bemühen mancher Forscher, ihre Schlussfolgerungen aus den Studiendaten nicht falsch, aber euphemistisch „in Richtung Homöopathie“ zu formulieren, wo schlicht die klare Aussage angebracht wäre, dass sich die Ausgangshypothese (Überlegenheit von Homöopathie über Placebo oder Standardtherapie) nicht bestätigt hat. Dies wiederum bereitet den Nährboden für die bereits erwähnte „Überinterpretation“ des Studienmaterials durch die homöopathische Szene.
IV
Dass Zweifel bei praktisch allen Homöopathen irgendwo vorhanden sind, wie Natalie Grams meint, das glaube ich auch. Aber wahrscheinlich sehr unbewusst. Ein Indiz dafür ist sicher, dass die homöopathische Szene inzwischen außerhalb jeder Sachebene zu agieren beginnt. Die bekannten Euphemismen beherrschen die Diskursbeiträge, zunehmend mit persönlich gefärbten Attacken gewürzt. Beim Schulterschluss mit einflussreichen Gruppen wie der Politik wird auf die emotionale Karte gesetzt, auf das falsche Image des „Sanften und Natürlichen“, es wird die falsche Identität der Homöopathie mit „Naturheilkunde“ nach Kräften befeuert und statt valider Argumente wird die Beliebtheitskarte ausgespielt. Sind das nicht alles Zeichen zunehmender Unsicherheit von Menschen, die nicht „lügen“, sondern deren Selbstbild mit inneren Widersprüchen zu kämpfen hat? Vielleicht nicht immer, aber ich denke, in den meisten Fällen schon. Ich verstehe das sogar – das ist ja auch meine Aufgabe als Kritiker.
V
Was den klassischen Nutzer von Homöopathie angeht, so ist die Sachlage ein wenig anders. Er ist zwar auch vom confirmation bias beseelt, aber der wurde ihm durch jahrzehntelange fehlgehende Propaganda „anerzogen“. Das wird flankiert vor allem durch fehlendes Wissen zur Homöopathie. Das zeigen selbst die Umfragen der Homöopathen (wobei wir die gelegentlichen manipulativen Eskapaden mal außer Acht lassen wollen). Die große Umfrage Allensbach 2014 hat klar ergeben, dass – nach damaligem Stand zwar gut 60 Prozent der Bevölkerung Homöopathie schon einmal angewandt haben. [4] Aber: Es ist bekannt, dass weniger als 20 Prozent der Anwender (vermutlich ist das hoch gegriffen) in der Lage sind, wenigstens ein Wirkprinzip der Homöopathie zutreffend zu benennen, was für ein „Wissen“ zur Homöopathie sicher längst nicht zureichend ist. Das macht sich ja auch praktisch bemerkbar in dem Anteil von gut vier Fünftel des Homöopathika-Umsatzes in den Apotheken, der zur Selbstbehandlung – ohne Rezeptierung durch einen Therapeuten – über die Ladentheke geht (was mit der Allensbach-Umfrage insofern korrespondiert, als dass dort von 67 Prozent der Befragten als „Weg zu homöopathischen Arzneimitteln“ der „Rat von Freunden, Familie und Bekannten“ genannt wird). Nach homöopathischen Grundsätzen ein derartiges Unding, dass klassische Homöopathen eigentlich laut aufschreien müssten.
Was aber nichts anderes heißt, als dass der Prozentsatz der Bevölkerung, der auch nur einigermaßen über die Prinzipien der Homöopathie Bescheid weiß und daher zumindest in die Nähe einer „eigenverantwortlichen Patientenentscheidung“ kommt, erschreckend gering sein dürfte. Vor diesem Hintergrund ist jede Aussage über „Beliebtheit in der Bevölkerung“ wertlos. Ich habe die Hoffnung, dass sich dies durch die aufklärende Homöopathiekritik der letzten Jahre inzwischen ein wenig verbessert hat. Aber solange der Boden in dieser Weise für die Homöopathievertreter bereitet ist, dürfen sie sich freuen – und haben keinen äußeren Anlass, von ihrer Irrlehre abzulassen. Anders formuliert: Sie haben keinen Anlass, ihren confirmation bias zu erkennen und zu hinterfragen. Und genau das will die Homöopathiekritik ändern. Durch Information und Aufklärung.
VI
Conclusio: Nein, die Homöopathen sind nicht durchweg Lügner oder Betrüger, die auf breiter Front wider besseres Wissen ihre Methode anwenden und verteidigen. Entsprechend würde ich auch jedem antworten, der diese These vorbringt (und habe das auch schon getan). Das befreit die Vertreter der Homöopathie – zumal die mit akademischer Ausbildung – aber nicht von der klaren ethischen und intellektuellen Pflicht, sich mit den zutage liegenden Fakten, die die Homöopathie unbestreitbar als spezifisch unwirksam und unwissenschaftlich zeigen, auseinanderzusetzen und sich selbst dabei zu hinterfragen. Das ist der Punkt. Dies ist die zu stellende Anforderung, der man nicht gerecht wird, wenn man den faktenbasierten Diskurs verlässt und sich auf Metaebenen begibt (oder sich dorthin ziehen lässt), sei es durch Appelle an das „Schöne, Wahre, Gute“, sei es mittels des „Traditionsarguments“, sei es durch Beschwörung der (auf confirmation bias beruhenden) „Beliebtheit“, ebenso durch Diskreditierungen der wissenschaftlichen Methode oder gar solche persönlicher Art – wobei ich letzteres für das ultimative Eingeständnis halte, über keinerlei Sachargumente zu verfügen. Was nur noch übertroffen werden kann von einer Ausprägung des confirmation bias, die glauben lässt, dies nicht einmal nötig zu haben.
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[1] Wason P (1960) On the failure to eliminate hypothesis in a conceptual task. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 12, 129 – 140
[2] http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=3596
[3] Beispiele:
https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/…/294-die-legende…
https://keineahnungvongarnix.de/?p=6454
http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=3577
[4] https://www.bah-bonn.de/bah/?type=565&file=redakteur_filesystem%2Fpublic%2FErgebnisse_Allensbach_deSombre.pdf
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Bildnachweise: Pixabay License CC0
Auf der Ebene der Patienten – und sicher nicht nur dort – gibt es einen ebenso wirkmächtigen wie allgegenwärtigen Bias: den Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss. Dieser führt dazu, dass Patienten die erlebte Verbesserung ihrer Situation der vorhergegangenen Therapie zuschreiben. Auch eine Wirkung auf den Therapeuten ist vorhanden, der sich ebenso gerne an dem zugebilligten Erfolg freut. Auch dieses „Ich habe schließlich selbst erlebt“ – Gefühl ist von starker Überzeugungskraft, gegen die sich nur sehr schwer andiskutieren lässt, und zudem offensichtlich in der Evolution ganz fest in uns allen verdrahtet worden ist.
In der Tat. Das ist die Unterfütterung des „großen“ bias, der Grundüberzeugung von der Richtigkeit der Lehre. Der post-hoc-ergo-propter-hoc- Fehlschluss ist der „Lieferant“ für die meist unerschütterlichen „persönlichen Erfahrungen“, man könnte sie als die „Bausteine“ für den immer weiter wachsenden confirmation bias bezeichnen, der sich dann unter Umständen – wie beschrieben – so stark ausprägt, dass er sich mit Teilen der Persönlichkeitsstruktur verbindet.
„Conclusio: Nein, die Homöopathen sind nicht durchweg Lügner oder Betrüger, die auf breiter Front wider besseres Wissen ihre Methode anwenden und verteidigen. Entsprechend würde ich auch jedem antworten, der diese These vorbringt (und habe das auch schon getan). Das befreit die Vertreter der Homöopathie – zumal die mit akademischer Ausbildung – aber nicht von der klaren ethischen und intellektuellen Pflicht, sich mit den ZUTAGE LIEGENDEN FAKTEN, die die Homöopathie UNBESTREITBAR als spezifisch unwirksam und unwissenschaftlich zeigen, auseinanderzusetzen und sich selbst dabei zu hinterfragen. Das ist der Punkt. Dies ist die zu stellende Anforderung, der man nicht gerecht wird, wenn man den FAKTENBASIERTEN Diskurs verlässt“……..
Könnten Sie vielleicht irgendwann die Realität (der ErdKUGEL) anerkennen, dass die „ZUTAGE LIEGENDEN FAKTEN“ „UNBESTREITBAR“ Ergebnisse FÜR ODER WIDER die Placebothese der Homöopathie zeigen, JE NACHDEM WIE die Studien INTERPRETIERT werden? Können wir uns DARAUF einigen? Und darauf, dass es unredlich und unwissenschaftlich ist, ihr JEGLICHE eigenständige Wirkung pauschal abzusprechen, nur weil der Wirkmechanismus noch unplausibel ist? Und wie Walach sagt: „Wenn die Homöopathie reine Placebotherapie wäre, würde man eine andere Datenlage erwarten [unabhängig von irgendeinem Bias]….“!
Lieber Herr Hümmer,
ich danke Ihnen sehr für Ihren Kommentarbeitrag, nicht zuletzt, weil er mir Gelegenheit gibt, zu einigen Fehlannahmen über die wissenschaftsbasierte Homöopathiekritik Stellung zu nehmen. Gestatten Sie mir, in einem Gesamtkontext auf Ihre Ausführungen einzugehen.
Es ist keine Position der wissenschaftsbasierten Homöopathiekritik, dass Homöopathie deshalb abgelehnt wird, weil es keine Erklärung von Wirkungsmechanismen gebe. Auch bei mir werden Sie nicht im Ansatz eine solche Argumentationslinie finden. Es ist einfach: Die Grundhypothese, Homöopathie habe eine spezifische arzneiliche Wirkung, hat „strenger Überprüfung“ im Sinne Popperscher Falsifikation nicht standgehalten. Wohlgemerkt, die Grundhypothese der Annahme einer Wirkung – damit ist nach den Gesetzen der Logik die Diskussion über einen Wirkmechanismus obsolet. Die Homöopathiekritik beschäftigt sich deshalb mit den „Wirkungsmechanismen“ und den Bemühungen der Homöopathie, durch „Grundlagenforschung“ (z.B. dem sogenannten high dilution research) hierfür Belege zu suchen, nur sekundär. Es ist ein offenbar auch unter Homöopathen weit verbreiteter Fehlschluss, eine Wirkung als nachgewiesen vorauszusetzen (hier ist der Triggerpunkt für die „persönliche Erfahrung“, die sich in Bezug auf die Methode Homöopathie dann zum umfassenden confirmation bias auswächst) und dann zu erklären, es gehe damit nur noch um Forschungsfortschritt, um – wie in vielen Fällen der wissenschaftlichen Medizin auch – näheren Aufschluss über die dahinter liegenden Mechanismen zu gewinnen. Nein, das ist nicht so und deshalb auch nicht primärer Gegenstand der homöopathiekritischen Argumentation. Kritikpunkt ist allerdings, dass die Situation so dem geneigten Publikum dargestellt wird.
Und deshalb gibt es für mich auch gar keinen Raum, um Ihnen eine Konzession in der von Ihnen gewünschten Richtung zu machen. Die Frage nach einem Wirkungsmechanismus der Homöopathie ist angesichts der Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit selbst überhaupt keine epistemologische Kategorie mehr. Nun mag es sein, dass Sie nach wie vor von der spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie überzeugt sind. Dort allerdings kommen wir erst recht nicht zusammen. Die Reviews und Metaanalysen zur Homöopathie der Jahre seit 1991 zeigen sämtlich eben keine Überlegenheit der Homöopathie bei irgendeiner Indikation, weder bei indikationsbezogener Anwendung von Präparaten noch bei individualisierter Therapie. Die einzelne Studienlage mag gelegentlich darauf hindeuten, dass es kleine Effekte geben könnte, die über Placebo hinausgehen, jedoch ist nach dem Bekunden der Autoren der Reviews die Qualität der vorliegenden Studien so niedrig, dass hieraus keine belastbaren Schlussfolgerungen gezogen werden können. Dazu rufe ich gern Robert Mathie vom Homeopathy Research Institute als Zeugen auf, der dieses Ergebnis mit seinen drei Arbeiten (2014, 2017, 2018) bestätigt, wenn er auch bemüht ist, dies in den Zusammenfassungen mit allerlei euphemistischen Formulierungen abzuschwächen. Da wird nichts „interpretiert“. „Bereinigt“ man die homöopathischen Arbeiten (was mit Interpretation nichts zu tun hat) um methodische und statistische Mängel, dann stellt sich stets eine weitere Verschlechterung der Beleglage dar (methodologisch ist es zwangsläufig, dass derartige Mängel sich immer in Richtung der Vergrößerung des Alpha-Fehlers auswirken). Nein, die spezifische Nichtwirkung der Homöopathie ist in praktisch der gesamten weltweiten Wissenschaftscommunity Konsens, und das nicht aus ideologischer Ablehnung oder ähnlichen Haltungen heraus, sondern aus guten wissenschaftlichen Gründen. Die Homöopathiekritik hat umfassend und erschöpfend die vorgelegten Arbeiten analysiert und kritisiert – so manches (wie in der Shang-Eggers-Arbeit) hat dabei als methodisch sicher nicht gerade optimal ebenfalls der Kritik unterlegen (es geht der Homöopathiekritik nicht um die Bestätigung vorgefasster Ansichten). Diese Dinge sind bei den großen Studien und Reviews alle ausdiskutiert, ohne dass sich für die Homöopathie eine bessere Ausgangslage ergeben hätte. Und dabei verzichte ich hier einmal völlig auf eine Diskussion des Aspekts der Ausgangsplausibilität der Methode.
Lassen wir dies einmal vorläufig außer Acht – ich möchte ungeachtet all dessen gern darauf eingehen, was es überhaupt bedeuten würde, konzedierte ich Ihnen wunschgemäß, eine Wirkung der Homöopathie sei nicht deshalb auszuschließen, weil ihre Wirkungsmechanismen nicht bekannt seien. Sie rekurrieren bei dieser Vorstellung auf die „Bescheidenheit“ der Wissenschaft, genauer, auf das Postulat des popperschen kritischen Rationalismus, dass Forschung nicht „Wahrheit“, sondern „Erkenntnis“ zum Ziel hat und diese wegen der Fehlbarkeit jeglicher (empirischer) Erkenntnis stets nur vorläufig sein kann (was die Begründung für den wissenschaftlichen Falsifikationismus als Motor des Erkenntnisgewinns ist). Damit ist aber nicht das Offenhalten eines Hintertürchens im Sinne eines „der andere könnte auch Recht haben“ gemeint, wie es die Verfechter eines fehlgeleiteten „pluralistischen“ (in Wirklichkeit reaktionär-positivistischen) Wissenschaftsbegriffes einfordern, denn dies wäre nichts anderes als das Ende der kritisch-rationalen Methode und der Einzug von Beliebigkeit (man könnte sagen: die Wiederkehr des Positivismus) in den Wissenschaftsbegriff. Eine Konzession meinerseits in der von Ihnen intendierten Weise wäre erkenntnistheoretisch völlig wertlos, denn sie würde keinerlei Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Homöopathie widerspiegeln, erst recht nicht so etwas wie eine „kleine Wahrheit“ beinhalten, sondern lediglich ziemlich trivial die Vorläufigkeit menschlichen Wissens bestätigen. So etwas kann kein Weg der Erkenntnisgewinnung sein, sondern wäre nur ein positivistischer Weg, um das Faktum der menschlichen Fehlbarkeit zu einem scheinbaren Erkenntniskriterium – und das auch noch im speziellen Falle – aufzubauschen.
Herrn Walachs Postulat übrigens halte ich für eine reine Behauptung. Warum sollte man eine andere Datenlage erwarten, wenn die Homöopathie eine reine Placebotherapie wäre? Die Datenlage ZEIGT doch, dass sie im Großen und Ganzen – bei Betrachtung ausreichend großer Kohorten, was unumgänglich ist – mit Placebo auf gleicher Höhe agiert. Allein dies ist eine Widerlegung der Walachschen Position, die eine Verallgemeinerung der öfter gehörten Aussage darstellt, Homöopathie könne deshalb keine Placebotherapie sein, weil oft nicht gleich das erste (oder zweite) Mittel wirke. Das ist aber ein unbegründeter Fehlschluss, dazu verweise ich auf diesen Beitrag des Informationsnetzwerks Homöopathie:
https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/kurz-erklaert/297-argument-homoeopathie-kann-schon-deshalb-nicht-bloss-auf-dem-placeboeffekt-beruhen-weil-oft-das-erste-gegebene-mittel-nicht-wirkt
Ich danke Ihnen nochmals für Ihren Beitrag und die Möglichkeit der Entgegnung und möchte mit einem Popper-Zitat schließen, das ich überzeugten Homöopathen gern ans Herz legen möchte:
“Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen.” (Logik der Forschung, 11. Auflage, Tübingen 2005, Seite XX).