Es ist ein wohl nicht auszurottendes Vorurteil, dass psychiatrische Erkrankungen sich nicht in das akzeptierte System medizinischer Diagnostik und Therapie einordnen lassen beziehungsweise dass man sie problemlos aus diesem herauslösen könnte.
Anders ist es nicht zu erklären, dass der neue Gesundheitsminister Jens Spahn allen Ernstes einen Gesetzesentwurf eingebracht hat, der einen neuen Studiengang „Psychotherapie“ vorsieht, nach dessen Abschluss es dem Absolventen gestattet sein soll, psychische Störungen zu diagnostizieren und psychotherapeutisch wie auch medikamentös zu behandeln.

Gesundheitsminister Jens Spahn
In der täglichen Praxis erlebe ich ohnehin, dass sowohl von Teilen der Gesellschaft, der Presse, aber auch von Medizinerkollegen Menschen mit psychischen Störungen nicht als krank, sondern als abseitig, wunderlich, gefährlich oder simulierend angesehen werden – je nach Standpunkt.
Der neue Gesetzentwurf ist nichts anderes als eine Diskriminierung psychisch Kranker, denen zugemutet wird, sich von „Therapeuten“ behandeln“ zu lassen, deren Kenntnisse aus einem parallel zur und damit abseits der Medizin erworbenen Studium stammen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass psychische Störungen und organische Medizin eng verschränkt sind, und zwar in jeder Hinsicht und bei allen Störungsbildern. Die Abgrenzung einer Depression, einer Angststörung oder einer Psychose von organisch bedingten Erkrankungen setzt ein Medizinstudium voraus, weil nur in diesem überhaupt ein Verständnis von Krankheitsentstehung sowie eine Kenntnis einschlägiger Krankheitsbilder vermittelt werden.
Die Verschiebung psychisch kranker Menschen in ein pseudomedizinisches Paralleluniversum ist ein beängstigendes Zeichen für die Entfernung politisch Denkender von wissenschaftlichen Erkenntnissen und von der Weigerung mancher Politiker, einfach mal bei Wissenschaftlern nachzufragen, bevor man sich Gesetze ausdenkt in einem elfenbeinfarbenen Turm, der sich offensichtlich fernab von Universität, Klinik und Praxis befindet.
Peter Teuschel
Anhang:
Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz
Bild Jens Spahn: Creative Commons
Bild Paralleluniversum: © nikonomad – Adobe Stock
Körper und Seele sind untrennbar verknüpft, das eine bedingt das andere. Völlig richtig. Deshalb muss psychische Erkrankung in der Hand von Ärzten bleiben. Ein Problem besteht darin, wenn Ärzte mental/seelisch nicht gesund sind, dann wird übertherapiert bzw. falsch diagnostiziert/therapiert oder Potenziale des Patienten werden nicht vollständig ausgeschöpft. Fachliches Wissen nach Lehrbuch alleine reicht noch nicht aus, ganz speziell bei psychischer Erkrankung.
Ich kann es einfach nicht fassen, dass die Idee, nach einem solchen Studium könnte man Medikamente verschreiben, immer noch nicht von Tisch ist. Das ist doch unglaublich! Wann wachen die denn mal auf?
Ich weiß noch genau meine erste Anstellung als Assistenzarzt in der Uni-Klinik München. Da hatte ich im Studium natürlich viel Pharmakologie gehabt. Aber das tatsächliche Behandeln mit Psychopharmaka habe ich erst in der Facharztausbildung gelernt. Das geht nur in jahrelanger intensiver Erfahrung unter Anleitung von Chefarzt, Oberarzt und erfahrenem Assistenzarzt. Ein Irrsinn zu glauben, man könne nach einem PT-Studium sinnvoll Medikamente anwenden.
Leider gibt es allzu viele ganz schlechte Mediziner. Trotz psychosomatischer Diplome haben allzu viele Mediziner keine Ahnung von Psychologie. Und leider gibt es allzu viele ganz schlechte Psychologen. Und beide Gruppen beruecksichtigen leider fast nicht Leiden, die von der Gesellschaft verursacht werden.
Folgende Verbände lehnen das Studium „Barfuss-Medizin für die Seele“ ab. Sie haben verstanden, was den Patienten angetan würde:
Der Deutsche Ärztetag als höchster Souverän der Ärzteschaft
Die Allianz Deutscher Ärzteverbände
Der Deutsche Hausärzteverband
Der Spitzenverband der Fachärzte Deutschland, SpiFa
Der GKV Spitzenverband
Der Berufsverband der Deutschen Psychologinnen und Psychologen, BDP
Der Berufsverband Deutscher Internisten, BDI
Der Berufsverband der Frauenärzte, BVF
Die Deutsche Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, DFT
Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, DGVT Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und Familienpsychotherapie, DKGJF
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und – therapeuten, bjk
Der Fachbereichstag Soziale Arbeit, FBTS
Der Konferenzrat der Psychologie-Fachschaften-Konferenz Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie, DGPM Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, DGPPN Der Bundesverband Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie, BDPM Der Berufsverband Deutscher Psychiater, BDP Der Berufsverband Deutscher Nervenärzte, BVDN
Der Berufsverband Deutscher Neurologen, BVN Der NAV Virchowbund
Der Marburger Bund
Weder die Medizin ist schlecht noch die Kompetenz der Ärzte anzuzweifeln. Das Kassensystem zerstört unser Gesundheitswesen in dem es die Gier schürt und die Solidarität der Menschen untergräbt. Dieser neue Studiengang wäre halt vermutlich „billiger“ – unterm Strich.
Statt dass man sich mal an eine Systemänderung heranwagt, wieder so ein billiger Versuch Kosten einzusparen. Feige Politiker.
Jeder, der am Menschen handelt und be-handelt, muss über den Kanon der modernen medizinischen Ausbildung verfügen. Partialmedizin auf der Grundlage von isolierten Studiengängen ist aus wissenschaftlicher wie aus medizinethischer Sicht völlig indiskutabel. Es ist erschreckend, dass dies beim Gesundheitsminister keine Selbstverständlichkeit darzustellen scheint und Spontanideen – mit ökonomischem Hintergrund – so in den Raum geworfen werden. Wer berät dort eigentlich – oder sollte Herr Spahn beratungsresistent sein (es gibt eine Sorte von Beratungsresistenz, die sich selbst innovativ und kreativ vorkommt).